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Es begann mit einem Drücken im Bauch – Patrick Deinzer hielt es für harmlos. Erst als Magenkrämpfe, Durchfall und ein stechender Schmerz im Becken dazukamen, wurde dem damals 36-Jährigen klar, dass etwas nicht stimmte. Dann der Schock: Hodenkrebs. „Ich hatte als Baby Hodenhochstand“, erzählt der Berliner. „Ein Hoden ist im Bauchraum liegen geblieben, statt in den Hodensack zu wandern, und hat dort Krebszellen gebildet.“

Entstehung von Hodenkrebs noch ungeklärt

Hodenkrebs gehört zu den selteneren Krebsarten­. Bei Männern zwischen 20 und 45 Jahren ist er aber die häufigste Tumor­erkrankung. Fast 4200 erkranken laut Robert Koch-Institut allein in Deutschland jedes Jahr. Große Aufmerksamkeit erlangte das Thema im Sommer 2022, als gleich drei Profi-Fußballer von ihrer Diagnose berichteten: Timo Baumgartl von Union Berlin, Marco Richter von Hertha BSC und BVB-Star Sébastien Haller.

Vor etwa fünf Jahren erhielt Patrick Deinzer aus Berlin die Diagnose Hodenkrebs. Seine Erfahrungen hat der damals 36-Jährige in einem Blog verarbeitet.

Vor etwa fünf Jahren erhielt Patrick Deinzer aus Berlin die Diagnose Hodenkrebs. Seine Erfahrungen hat der damals 36-Jährige in einem Blog verarbeitet.

„Warum genau Hodenkrebs entsteht, wissen wir nicht“, sagt Professor David Pfister, stell­vertretender Direktor der Klinik für Uro­logie, Uro-Onkologie, spezielle urolo­gische und Roboterassistierte Chirurgie an der Uniklinik Köln. „Eine Entwicklungs­störung der Hoden spielt jedoch eine Rolle, weshalb vor allem junge Männer betroffen sind.“ Anders als bei den meisten Krebsarten steigt das Tumor-Risiko nicht mit dem Alter, sondern ist von Geburt an vorhanden.

Verhärtungen am Hoden unbedingt ernst nehmen

Dass ein sogenannter Hodenhochstand wie bei Patrick Deinzer Krebs auslöst, ist selten. Es gibt verschiedene Risikofaktoren für Hodenkrebs: Unfruchtbarkeit zum Beispiel oder familiäre Vorbelastung – wenn die Erkrankung schon in der Familie aufgetreten ist, bei Großvater, Vater oder Bruder. Hatte ein Mann bereits einen Hodentumor, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch der andere Hoden irgend­wann erkrankt.

Schmerzen bereitet ein Tumor im Hoden nur selten. Meistens fällt der Krebs durch eine tastbare Verhärtung auf – dem Mann selbst, seiner Partnerin oder seinem Partner. „Wer das ignoriert, wird in den kommenden Monaten bemerken, dass die Verhärtung kontinuierlich wächst“, so Pfister. Betroffene sollten sich umgehend zum Urologen oder zur Urologin überweisen lassen. „Viele denken, so eine Verhärtung verschwinde von selbst wieder. Veränderungen an den Hoden sollte man aber unbedingt ernst nehmen.“

Neben einem tastbaren Knoten bemerken manche Patienten auch ein Schwere- oder Druckgefühl im Hodensack. Bei anderen fällt der Tumor auf, weil sich ihr Kinderwunsch nicht erfüllt. „Bei Unfruchtbarkeit“, sagt David Pfister, „gehören eine Ultraschall- und Tastuntersuchung der Hoden zur Abklärung dazu.“

Eine Tastuntersuchung hilft bei der Diagnose

Stellt sich ein junger Mann mit einer Verhärtung im Hoden in einer urologischen Praxis vor, wird üblicherweise nach Beschwerden und der familiären Vorbelastung gefragt: Seit wann ist der Hoden auffällig? Hatte bereits jemand in der Familie Hodenkrebs? „Dann erfolgt eine Tastuntersuchung, bei der wir meist schon schnell eine Verdachtsdiagnose stellen können“, erklärt Dr. Julia Heinzelbecker, Leitende Oberärztin an der Klinik für Uro­logie und Kinderurologie am Universitätsklinikum des Saarlandes.

Eine Ultraschalluntersuchung erhärtet den Verdacht meist weiter. Zur Sicherheit wird zusätzlich Blut ins Labor geschickt und auf spezielle Werte untersucht, die auf einen Tumor hinweisen. Bei etwa 95 von 100 Patienten handelt es sich um Krebs.

Die Operation erfolgt innerhalb weniger Tage. „Im Fall eines bösartigen Tumors entfernen wir dabei den kompletten betroffenen Hoden samt Samenstrang“, erklärt Heinzelbecker. Anschließend wird das entfernte Gewebe in der Pathologie untersucht, um die genaue Art des Tumors zu bestimmen. Ist die Operation überstanden, wird das Ausmaß der Erkrankung ermittelt.

Regelmäßige Kontrolle nach der Behandlung

Die wichtigste Frage: Gibt es schon Metastasen, hat der Tumor gestreut? Diese Absiedelungen, die meist in der Lunge wachsen, finden sich per Computertomographie. „Manchmal entdecken wir auch Metastasen in Knochen, im Gehirn oder in der Leber“, sagt Heinzelbecker. Etwa zwei von drei Pa­tienten können aufatmen: Bei ihnen hat der Tumor nicht gestreut. Wie die Behandlung nach der Entfernung des Hodens weitergeht, hängt vom Stadium der Erkrankung ab. „Bestehen keine Metastasen, entscheiden wir uns oft für eine Überwachungsstrategie“, so Heinzelbecker. Die Patienten müssen dann regelmäßig zur Kontrolle kommen: erst vierteljährlich, dann alle sechs Monate, später jährlich – je nach ­Befund.

„Veränderungen an den Hoden sollte man unbedingt ernst nehmen“, Professor David Pfister ist stell­vertretender Direktor der Klinik für Uro­logie und Uro-Onkologie in Köln.

„Veränderungen an den Hoden sollte man unbedingt ernst nehmen“, Professor David Pfister ist stell­vertretender Direktor der Klinik für Uro­logie und Uro-Onkologie in Köln.

Hat der Tumor schon gestreut, ist in der Regel eine Chemotherapie angezeigt – „drei bis vier Behandlungsphasen, je nach Sta­dium der Erkrankung“, empfiehlt die Uro­login. Die Bestrahlung, die bei anderen Krebsarten eine wichtige Säule der Therapie darstellt, spielt bei der Behandlung von Hodenkrebs kaum noch eine Rolle. Die Patienten können selbst entscheiden, ob sie den entfernten Hoden durch ein Implantat aus Silikon ersetzen lassen wollen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für das Silikonimplantat, doch die meisten ­ihrer Patienten entscheiden sich dagegen, so Heinzelbecker: „Optisch fällt es tatsächlich kaum auf, wenn ein Hoden fehlt.“

Erkrankung meist gut behandelbar

Bei Patrick Deinzer, dessen erkrankter Hoden sich ja noch im Bauchraum befand, entfernten die Ärzte den Tumor unter Vollnarkose bei einer Bauchspiegelung. „Der Eingriff dauerte etwa zweieinhalb Stunden und ich habe ihn recht gut überstanden“, berichtet der Berliner. Geheilt war er damit aller­dings nicht: Nach der Operation musste er noch vier dreiwöchige Zyklen Chemotherapie überstehen. Ein ganzes Frühjahr lang verbrachte er immer wieder einige ­Tage im Krankenhaus. In seinem Blog hat er aufgeschrieben, was er seit der Diagnose erlebt hat. Auch, um über Hodenkrebs aufzuklären und anderen Betroffenen zu helfen.

Wie bei allen Krebsarten gilt auch für Hodenkrebs: Je früher er entdeckt und behandelt wird, desto besser können Ärztinnen und Ärzte ihn heilen. „Selbst im fort­geschrittenen Stadium ist die Erkrankung sehr gut behandelbar“, sagt Julia Heinzelbecker. „Ohne Metastasen liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Heilung bei über 95 Prozent.“ Das Risiko, dass der Krebs nach Operation und Überwachungsstrategie zurückkommt, liegt laut der Urologin bei 20 bis 50 Prozent.

Zeugungsfähigkeit in der Regel nicht gefährdet

Anders als viele Männer befürchten, sind Potenz und Zeugungsfähigkeit durch ­Hodenkrebs nicht in Gefahr, solange nur ein Hoden betroffen ist. „Mit der Potenz hat die Erkrankung nichts zu tun und ein Hoden reicht völlig aus, um Kinder zu zeugen“, sagt Heinzelbecker. Lediglich für den sel­tenen Fall, dass beide Hoden befallen seien, müssten die Patienten nach dem Eingriff das männliche Sexualhormon Testosteron einnehmen, um die Potenz zu er­halten. Weil ­eine Chemotherapie die ­Zeu­gungs­fähigkeit zumindest vorüber­gehend einschränkt, wird Männern mit Kinderwunsch vorsorglich zu einer Kryokonservierung geraten. Die Spermien werden hierbei für später eingefroren und gelagert. Auch Patrick Deinzer hat sich dafür entschieden.

Weil Vorsorgeuntersuchungen der Hoden bei jungen Männern nicht vorgesehen sind, raten Ärztinnen und Ärzte, den Hoden regelmäßig auf Verhärtungen hin abzutasten (siehe Grafik). „Ein- bis zweimal im Monat sollten junge Männer ihre Hoden unter­suchen“, rät Heinzelbecker. ­David Pfister ergänzt: „Vor allem jene mit erhöhtem Ri­siko wie ­einem Hodenhochstand in der Kindheit oder familiärer Vorbelastung dürfen die Selbstuntersuchung nicht vergessen.“ Auch die erkrankten Fußballprofis betonten in Interviews, wie wichtig die Selbstuntersuchung ist.

Patrick Deinzer hätte seinen Krebs im Bauchraum nicht ertasten können. Umso genauer nimmt er es nun mit der Nachsorge. „Bisher waren alle Untersuchungen unauffällig. Ich kämpfe zwar noch ab und zu mit Müdigkeit, aber eigentlich geht es mir gut“, berichtet er. Fast fünf Jahre sind seit seiner Chemotherapie nun vergangen – er gilt offi­ziell als geheilt.

Männliche Geschlechtsorgane (Schematische Darstellung)

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Quellen:

  • Leitlinienprogramm Onkologie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), Deutschen Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutschen Krebshilfe (DKH): Leitlinie Keimzelltumoren des Hodens | Langversion 1.1 | Februar 2020 1 S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens. Online: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/... (Abgerufen am 09.09.2022)