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Tabus gibt es in der Schwangerschaft viele. Insbesondere wenn es um Medikamente geht. Was aber, wenn diese für die ­psychische Gesundheit der werdenden Mutter unverzichtbar sind? Etwa zwölf Prozent der Schwangeren sind von einer Depression ­betroffen, ein Teil von ihnen nimmt deswegen Medikamente ein. Die Angst, dem ungeborenen Kind damit zu schaden, sitzt oft tief. Doch auch viele Ärztinnen und Ärzte scheinen überfordert.

Viele Medikamente inzwischen gut untersucht

„Empfiehlt etwa die Frauenärztin, die Medikamente sofort abzusetzen, rät der Psychiater, sie weiter zu nehmen – oder umgekehrt“, sagt Dr. Wolfgang Paulus, Leiter der Beratungsstelle für Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit am Universitätsklinikum Ulm. Das Problem: Kein Antidepressivum ist explizit für Schwangere ­zugelassen. Was also ist das Beste für das Kind, was das Beste für die Mutter? Und wie passt ­beides zusammen?

Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin bietet online und telefonisch unabhängige und kostenlose Informationen zur Verträglichkeit von Arzneimitteln in Schwangerschaftund Stillzeit an: embryotox.de. Eine kostenlose und individuelle Beratung bietet auch die Beratungsstelle für Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit des Universitätsklinikums Ulm. Die Kontaktdaten finden Sie hier.

Fachleute wie Paulus schaffen Klarheit: „Viele Medikamente sind inzwischen gut untersucht – und können auch in der Schwangerschaft eingenommen werden“, erklärt der Mediziner. Seine Einschätzungen basieren auf umfangreichen Fallsammlungen spezialisierter Zentren weltweit. Ein stark erhöhtes Fehlbildungsrisiko sei demnach bei den untersuchten Mitteln wie etwa den Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) nicht feststellbar. Früher hatte man ­vermutet, SSRI würden beim Kind häufig Bluthochdruck im Lungenkreislauf verursachen. Doch je mehr Daten man sammelte, desto klarer wurde: Das Risiko ist zwar leicht erhöht, aber längst nicht so gravierend. Wird ein Medikament nicht empfohlen, liegt dies meist daran, dass es noch wenige Daten dazu gibt.

Das Wichtigste: Die Mutter muss stabil bleiben

Für Frauen ist es wichtig, gut abzuwägen. Es lässt sich natürlich nie ganz ausschließen, dass sich Antidepressiva – so wie andere Wirkstoffe, die über die Plazenta ins Blut des Kindes gelangen – auf das Ungeborene auswirken können. Um in so einem Fall früh reagieren zu können, werden die Frauen umso engmaschiger betreut. Zudem kann es kurz nach der Geburt bei bis zu 30 Prozent der Babys zu Anpassungsstörungen kommen. Die Neugeborenen sind dann zum Beispiel unruhig, schlafen und trinken nicht so gut. „Die Symptome halten aber nur wenige Tage bis maximal zwei Wochen an“, beruhigt Paulus. Nur höchstens drei Prozent der Kinder müssten in einer Kinderklinik stationär überwacht werden.

Setzen betroffene schwangere Frauen das Antidepressivum hingegen ab, droht ein Rückfall in die Depression. Und auch die kann die Schwangerschaft gefährden. Etwa wenn es der Frau deshalb schwerfällt, auf ihre Ernährung zu achten oder Arzttermine wahrzunehmen. Ein abruptes Absetzen von SSRI kann zudem entzugsähnliche Symptome verursachen wie Schwindel oder Schlafstörungen.

Hinzu kommt: Bei der Mutter entsteht Stress – und dieser kann sich Paulus zufolge auch langfristig auf das Kind auswirken: „Studien zeigen: Kinder, deren Mütter die Schwangerschaft ohne Medikament durchstanden, waren im Alter bis zu sechs Jahren häufiger verhaltensauffällig als Kinder, deren Mütter gut eingestellt waren.“ Eine aktuelle US-amerikanische Geschwisterstudie bestätigt: Nicht die Medikamente sind der auslösende Faktor für spätere Verhaltensauffälligkeiten, wie zum Beispiel ADHS, beim Kind, sondern die Grunderkrankung der Mutter. „Das Wichtigste ist deshalb, die Mutter stabil zu halten“, betont Wolfgang Paulus.

Wer Antidepressiva nimmt, sollte früh planen

Was sollten Frauen tun, wenn sie Antidepressiva nehmen und sich ein Kind wünschen? Am besten früh planen, rät Paulus. Dann ist genug Zeit, um bei Bedarf auf ein Medikament umzuschwenken, das in der Schwangerschaft gut untersucht ist. Bei einer schon bestehenden Schwangerschaft sei man mit dem Wechsel ­hingegen zurückhaltender, auch wenn das eingenommene Präparat weniger erprobt ist. Zu unklar sei, wie Mutter und Kind auf die ­Umstellung reagieren. Selten kann das Medikament sogar abgesetzt werden – wenn dies ärztlich abgesegnet ist. Wichtig ist daher, sich gut beraten zu lassen, von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, aber auch in spezialisierten Zentren wie etwa in Ulm oder Berlin (siehe oben).

Dr. Stephanie Wallwiener

Depressionen bei Schwangeren früh erkennen

Mit ihrem Projekt Mind:Pregnancy will die Gynäkologin Dr. Stephanie Wallwiener Depressionen bei Schwangeren frühzeitig feststellen. Warum das so wichtig ist und wie kleine Dinge Betroffenen helfen können zum Artikel


Quellen:

  • Frank M C Besag: Should Antidepressants be Avoided in Pregnancy? , Should Antidepressants be Avoided in Pregnancy? . Drug Safety: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 03.10.2023)
  • Sheila M Marcus: Depression during pregnancy: rates, risks and consequences--Motherisk Update 2008 , Motherrisk. Clinical Pharmacology: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 02.10.2023)