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Senioren Ratgeber: In „Avas Geheimnis“ geht es um Einsamkeit. Was gab den Anstoß zu dem Buch?

Bärbel Schäfer: Die Schwester einer Freundin hatte einen Unfall, und ich besuchte sie in der Klinik. Ich kannte sie als sehr zugewandt und offen. Nun fand ich einen völlig abgekapselten Menschen vor.

Was war mit ihr passiert?

Es gibt viele Einschläge, die uns aus der Bahn werfen können. Manche sind da sehr widerstandsfähig, andere weniger, so wie Ava. Ihre Eltern hatten ihr nicht das fürs Leben mitgegeben, was sie gebraucht hätte. Ihr Weg war der Rückzug.

Ava wies Ihre Hilfsangebote lange schroff zurück. Warum hat Sie das nicht entmutigt?

Mir war auch neu, dass ich so hart im Nehmen bin. Ich nahm es einfach nicht persönlich. Aber natürlich wundert man sich über Schroffheit und Ablehnung, wenn man jemandem einen Gefallen tun will.

Wäre das Ihr Ratschlag an alle, die einen Menschen aus der
Einsamkeit holen wollen? Einfach immer wieder auf ihn zugehen?

Ja. Man muss schon ein kleiner, nerviger Mauerspecht sein, denn wer sehr lange allein ist, dem fehlt das Selbstbewusstsein, um zu sagen: „Hallo Leute, hier bin ich!“ Der hat das Gefühl, er habe nichts zu erzählen und der Gemeinschaft nichts zu geben. Da immer wieder ein Angebot zu machen, ohne zu drängen, ohne sofort eine Lösung parat zu haben, das ist die Kunst. Hartnäckig fragen: „Ich koche heute Abend, willst du vorbeikommen?“ „Ich gehe ins Kino, kommst du mit?“ Bei Ava war es nach der 35. oder 40. Anfrage so weit, dass ich zu ihr kommen durfte.

Sehr viele sitzen allein zu Hause und haben keinen Kontakt …

Und nur darauf zu warten, dass irgendwann mal die Kinder oder Enkel anrufen, kann kein Lebensinhalt sein. Ich möchte Mut machen, die Fühler auszustrecken und das Leben wieder selbst zu gestalten. Das Leben ist so reichhaltig und hat so viele schöne Momente, die man in Gesellschaft erfahren kann.

Im Buch steckt sehr viel Reflexion über Sie selbst.

Die Begegnung mit Ava war die Möglichkeit, auf meine eigenen Einsamkeitsinseln zurückzuschauen. Ich arbeite in einem kommunikativen Beruf, habe einen sehr kommunikativen Mann, Kinder und Freundinnen, meine Mutter. Aber ich habe auch meine Lebenswunden, durch die Unfalltode meines Bruders und meines damaligen Lebenspartners. In meinem Elternhaus wurde nicht viel geredet, geschweige denn über Befindlichkeiten.

Bärbel Schäfer wirkte in zahlreichen Talkshows und Reportagen mit.

Bärbel Schäfer wirkte in zahlreichen Talkshows und Reportagen mit.

Als einsamer Mensch muss man in Kommunikation treten und sagen: Ja, mir fällt meine eigene Einsamkeit auf, und ich brauche Unterstützung. Das auszusprechen ist ja nach wie vor ein ganz großes Tabu. „Ich bin einsam“ ist ein unglaublich schmerzhafter Satz. Ich bin es jetzt nicht mehr, auch weil ich gelernt habe, dass man die eigenen Schutzmauern bröckeln lassen muss. Ich konnte immer sehr gut Fragen stellen, aber nicht gut etwas von mir erzählen. Dabei ist das ein Schlüssel gegen Einsamkeit.

Täuscht es oder tun sich Frauen leichter mit dem Alleinleben?

Wir sind da geübter: In Beziehungen sind es häufig die Frauen, die die sozialen Kontakte pflegen. Ich kenne viele Männer, die sind nach dem Job in ein großes Loch gefallen. Da muss man aufpassen, dass es einen Ausgleich gibt. Die Kinder gehen irgendwann aus dem Haus, der Job ist irgendwann zu Ende. Es ist so schmerzhaft, dass einsame Menschen nicht wissen, wohin mit all ihrer Liebe, ihrer Sehnsucht nach Nähe. Nach Sexualität. Für uns als Gesellschaft ist es wichtig, das Thema zu erkennen. Uns geht ja auch etwas verloren, das ganze Potenzial von einsamen Menschen, das nicht genutzt wird.

Weil wir als Gesellschaft auch noch nicht eingestellt sind auf die Zeit nach der Großfamilie?

Als älterer Mensch will man keine Sorgen bereiten und sagt dann: „Es ist alles okay.“ Überall bleiben Frauen und Männer in viel zu großen Häusern allein zurück und gießen den Rasen, anstatt dass wir überlegen: Wie können wir architektonisch erreichen, dass wir zusammenkommen? Dass ich nicht zu einem Jugendtreff oder einem Seniorentreff gehen muss, weil sie allein durch die Wohnarchitektur schon bei mir sind. Es wird Zeit, dass wir darüber reden.

Apropos reden: Hatten Sie wirklich schon mit 16 Jahren Ihre erste eigene Talkshow?

Ich war damals mit einem Tennisstipendium in den USA. Da hatte jede Kleinstadt ihren eigenen Sender. Die fanden es lustig, wie eine 16-jährige Europäerin mit Amerikanern ins Gespräch kam.

Daraus wurden 1500 Folgen „Bärbel Schäfer, Reportagen, Samstagabend-Shows, politische Talkshows. Verschwimmt alles im Rückblick?

Das ist wie eine ständig auf- und zugehende Tür. Was bleibt, ist ein warmes Gefühl zu meinem Team und eine große Dankbarkeit gegenüber dem Sender, der langen Atem bewies. Inhaltlich war es ein Kaleidoskop. Für mich als Scheidungskind aus einem ganz normalen bürgerlichen Haushalt war das ein faszinierender Blick unter deutsche Dächer. Aber es war kein abwertender, sondern ein liebevoller Blick. Das war auch etwas, das mich aufs Leben vorbereitet hat.

Inwiefern? Weil man am meisten von anderen Menschen lernt?

Weil man lernt, dass das Leben eine Achterbahnfahrt ist, ein Marathon und kein Sprint. Dass Probleme sich verschieben und wir nicht voreilig andere bewerten, beurteilen, sondern erstmal zuhören sollten.

Beschäftigt Sie das Älterwerden?

Mit Ende 50 wäre es falsch, nicht dran zu denken. Es ist eine neue Lebensphase, in der man neue Dinge lernen muss. Ich habe immer viel gearbeitet und mir wenig Zeit für mich genommen. Das will ich ändern. Ich will mich auch mehr einbringen in die Gesellschaft. Das mache ich bereits in meinem Ehrenamt. Ich bin neugierig und werde jedes Jahr intensiv leben.

Was nehmen Sie sich als Nächstes vor?

Ich habe mich im Sommer im Wellenreiten versucht, das würde ich gerne noch besser können. Nicht nur bei den kleinen Wellen, sondern auch bei den etwas größeren.

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