Logo der Apotheken Umschau

Herr Dr. Gatinho, Sie haben als Kids.Doc auf Instagram über 700.000 Follower, arbeiten als Kinderarzt, schreiben Bücher, machen TikTok-Videos, produzieren einen Podcast und sind Vater von drei Kindern. Gibt es Sie wirklich?

Gatinho: (lacht) Ja! Und ich bin auch tatsächlich Kinderarzt. Manche Leute glauben ja nicht, dass ich auch noch ganz normal in einer Praxis arbeite. Ist aber so. Meine Patienten wissen das.

Vielleicht fragen sich die Leute einfach, wie um Himmels willen Sie das alles unter einen Hut bekommen …

Ich habe letztes Jahr reduziert auf drei Tage die Woche. Jetzt bin ich nur noch Montag bis Mittwoch in der Praxis.

Im Ernst: Sie beantworten täglich etliche Fragen von besorgten Eltern – das alleine ist doch schon ein Fulltime-Job!

Das ist einfach Timing. Und zum Glück gibt es ja noch die beiden Zufluchtsorte eines Vaters: das Auto und die Toilette. Und weil ich meinen Followern das Klo nicht zumuten will, nehme ich die meisten Storys im Auto auf dem Parkplatz auf.

Bei so vielen Followern könnten Sie sich doch eigentlich aufs Influencer-Dasein konzentrieren und nur damit Geld verdienen …

(lacht) Wenn ich kein Arzt wäre, dann könnte ich wahrscheinlich wirklich ohne Probleme davon leben. Aber als Arzt habe ich ein Werbeverbot. Ich generiere über Social Media kein Geld. Deswegen muss ich arbeiten gehen. Oder ich müsste meine Zulassung abgeben. Dann könnte ich Werbung machen und Produkte in die Kamera halten: Nasenstaubsauger oder so.

Klingt doch eigentlich verlockend. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?

Ich glaube, dass meine Glaubwürdigkeit sehr darunter leiden würde. Außerdem bin ich viel zu gerne Kinderarzt! Gerade bin ich krankgeschrieben, weil ich mir die Hand gebrochen habe. Und ich werde verrückt, weil mir meine Patientinnen und Patienten fehlen!

Apropos: Rennen Ihnen die Leute nicht die Bude ein, um einmal vom Kids.Doc behandelt zu werden?

(lacht) Wir bekommen immer mal wieder Anfragen, aber wir haben genauso wie alle anderen Kinderarztpraxen genug zu tun. Außerdem bin ich doch kein Wunderheiler! Man braucht einen Kinderarzt vor Ort: Wenn man mit einem kotzenden Kind drei Stunden fahren muss, macht das wirklich überhaupt keinen Sinn.

Trotzdem genießen Sie bei Eltern offenbar größtes Vertrauen. Oder wie erklären Sie sich sonst Ihre große Followerschaft?

Es kommen ja immer Eltern nach. Und wenn sie einmal da sind, dann bleiben die meisten auch. Alle haben zu einer bestimmten Zeit die gleichen Fragen. Bei mir finden sie Antworten auf die Evergreens. Warum schreit mein Baby so viel? Oder: Ist der Schnuller jetzt okay oder nicht?

Alles Fragen, die der Kinderarzt oder die Hebamme auch beantworten könnten …

Ja, klar. Aber wenn man zum Kinderarzt geht, merkt man ja, wie überlastet die Praxen sind. Viele Fragen fallen einem dort auch nicht immer ein. Ich sehe meine Aufgabe darin, medizinische Komplexitäten zu erklären. Ohne viel Trara aufs Wesentliche runtergebrochen.

Das ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Viele Eltern sind heute extrem verunsichert. Man kann sich mit einem Klick Millionen verschiedener Meinungen einholen. Problem ist aber, dass die heutige Elterngeneration, zu der ich auch gehöre, nicht gelernt hat, mit dieser Flut an Informationen umzugehen. Was ist denn eine gute Quelle? Wem kann ich vertrauen im Netz? Das überfordert ganz viele.

Und dann kommen Sie ...

Ich glaube, dass meine Follower in mir jemand Vertrauenswürdiges sehen und sagen: „Hey, wenn der Kids.Doc das sagt, dann wird das schon so stimmen.“ Meine Grundlage ist immer der aktuelle Stand der Wissenschaft. Meine Mission ist es, Eltern kompetenter zu machen.

Warum finden Sie das so wichtig?

Weil es Leichtigkeit in die Familien bringt, wenn Eltern wieder in der Lage sind, selbst Verantwortung für bestimmte Dinge zu übernehmen. Die Notaufnahmen sind überfüllt, manche kommen wegen jeder Kleinigkeit in die Praxis.

Fehlt Eltern denn heute das Bauchgefühl?

Vielen schon. Und das hat auch mit der Masse an ständig verfügbaren Infos zu tun. Wenn man Kopfschmerzen googelt, ist man quasi sofort tot und kann gleich seinen Sarg bestellen. Gerade Neu-Eltern sind sehr empfänglich für so etwas.

Waren frühere Generationen entspannter?

Vielleicht hat man früher mehr falsch gemacht, aber man wusste es nicht. Dadurch war man entspannter. Andererseits sind auch Glaubenssätze entstanden, die immer noch von Generation zu Generation weitergegeben werden – obwohl sie aus medizinischer Sicht völlig unsinnig sind.

Womit wir bei einem Ihrer Lieblingsthemen wären: Gesundheitsmythen entzaubern. Haben Sie einen Favoriten?

Mein All-Time-Favourite ist tatsächlich: Du darfst dein Baby nicht verwöhnen. Nicht zu viel tragen, nicht zu viel stillen. Was verrückt ist. Ein Säugling will doch niemanden manipulieren.

Was halten Sie davon: „Es ist kalt. Zieh deine Jacke an, sonst wirst du krank!“?

Sehr beliebt! Was Eltern damit ja eigentlich sagen wollen, ist: „Zieh dir eine Jacke an, mir ist kalt.“ Der Satz müsste aber heißen: „Wenn dir kalt ist, zieh dir bitte eine Jacke an.“

Die Kinder sollen selbst entscheiden?

Klar. Schon Zweijährige können gut einschätzen, ob sie frieren oder nicht. Wir neigen aber dazu, unseren Kindern ihre Eigenständigkeit komplett abzuerkennen. Von Anfang an sagen wir: „Ich weiß, wann du Hunger hast, wann du schlafen sollst, wann ich dich hinlegen muss.“

Und das ist ein Problem?

Ja, weil man so auch Kindern ihr Empfinden und ihr Bauchgefühl abtrainiert.

Dann sollten sich Eltern ihre ewige Leier vom Jackeanziehen also sparen?

Wenn ein Kind eine halbe Stunde lang frierend durch den Regen läuft, dann kann es passieren, dass es wirklich ein bisschen anfälliger für Erreger wird, die etwa einen Schnupfen verursachen. Aber wenn Kinder beim Rennen draußen ihre Jacke ausziehen wollen, dann ist ihnen einfach zu warm. Da passiert gar nichts.

Sind Sie als Vater auch immer so gechillt?

Eigentlich schon. Wobei ich früher auch viele Glaubenssätze in mir hatte.

Wirklich?

Zumindest die pädagogischen. Als Assistenzarzt ohne Kinder hatte ich viele schlaue Ratschläge für Eltern. So was wie: „Jetzt geben Sie Ihrem Kind doch bitte die Augentropfen. Halten Sie es fest, dann gehen die schon rein.“ Aber wenn man irgendwann selbst in der Situation ist, merkt man: Hui, das ist doch nicht so einfach.

Welches Virus hassen Sie als Vater eigentlich am allermeisten?

Jetzt habe ich fast Angst, das zu sagen. Sonst bekomme ich es bestimmt.

Also das ist doch jetzt wirklich ein Mythos!

(lacht) Stimmt. Also gut: alle Magen-Darm-Viren! Ich hasse es, zu erbrechen. Oder noch schlimmer: Wenn die Kinder nachts unbemerkt brechen und dann in ihrem Erbrochenen weiterschlafen. Da breche ich gleich mit.