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Frau Fischbach, Sie sind Geschäftsführerin bei der Organisation Apotheker ohne Grenzen Deutschland, deren Name an die bekannte NGO Ärzte ohne Grenzen erinnert. Was bedeutet dieses „ohne Grenzen“ für Ihre Organisation?

Eliette Fischbach: Es steckt durchaus eine ähnliche Idee dahinter, nämlich Menschen weltweit zu helfen, gesünder leben zu können oder nach einer Krankheit wieder gesund zu werden. Aber wir legen dabei den Fokus auf die pharmazeutische Versorgung – wir helfen mit Medikamenten und unserem Wissen.

Wie kam es zur Gründung von Apotheker ohne Grenzen?

Eliette Fischbach ist Geschäftsführerin der Organisation Apotheker ohne Grenzen.

Eliette Fischbach ist Geschäftsführerin der Organisation Apotheker ohne Grenzen.

Fischbach: Vor 24 Jahren haben sich 37 engagierte Apothekerinnen und Apotheker zusammengefunden. Die Vision damals und heute lautete: Menschen weltweit ein Leben in Gesundheit zu ermöglichen. Zu Beginn war es ein kleines, ehrenamtliches Team. Die große Bewährungsprobe kam 2004 mit dem ersten Nothilfeeinsatz nach dem verheerenden Tsunami in Asien. Seitdem ist Apotheker ohne Grenzen weiter gewachsen.

Welche Rolle spielen Apothekerinnen und Apotheker bei Ihrer Arbeit?

Fischbach: Eine sehr große und sehr wichtige. Die Mitglieder des Vereins bestehen zum Großteil aus Apothekerinnen und Apothekern sowie PTA (Pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten, Anm. d. Red.). Ohne sie könnte unsere Projektarbeit gar nicht funktionieren. In unserem hauptamtlichen, fünfzehnköpfigen Team haben wir ganz unterschiedliche berufliche Hintergründe, was für den Verein auch wichtig ist.

Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit – das sind die zwei Säulen bei Apotheker ohne Grenzen. Wie unterscheiden sich die Bereiche?

Fischbach: In der Nothilfe geht es darum, sehr schnell zu helfen, die akute Not der Menschen zu verringern und Leben zu retten. Solche Einsätze hatten wir zum Beispiel nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien 2023. Aktuell leisten wir auch Nothilfe in der Ukraine und im Gaza-Streifen, allerdings ohne Personal vor Ort.

Rückansicht von zwei Menschen in einer Lagerhalle voller Pakete

„Die Situation ist katastrophal“

Die Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V. liefert dringend benötigte Medikamente nach Gaza. Co-Koordinator Max Haselbach erzählt, warum das so schwierig ist. zum Artikel

Wie gehen Sie dabei konkret vor?

Fischbach: Wichtig ist zunächst, dass das betroffene Land um internationale Hilfe gebeten hat. Wenn es keine Kriegssituation ist, dann stellen wir gemeinsam mit einer medizinisch geprägten Organisation einen Noteinsatz auf die Beine. Das heißt: Wir schicken Medikamente und pharmazeutisches Personal, also unsere geschulten, ehrenamtlichen Mitglieder, in den Einsatz. Weil es schnell gehen muss, haben wir dafür standardisierte Medikamentensets vorrätig gelagert, das sogenannte Interagency Emergency Health Kit. Damit kann man für drei Monate eine Bevölkerung von 10.000 Menschen versorgen.

Das Ziel der Projekte ist immer, dass wir dort irgendwann nicht mehr benötigt werden, weil das System ohne uns gut funktioniert

Wie sieht die Arbeit vor Ort dann aus?

Fischbach: Vor Ort läuft es dann in etwa so: Die Ärztin stellt die Diagnose, die Patientin kommt damit zum Apotheker und dieser weiß, mit welchem Medikament aus dem Kit er helfen kann. Handelt es sich um ein Kriegsgebiet wie die Ukraine oder Gaza, schicken wir keine eigenen Helferinnen und Helfer, sondern arbeiten mit Organisationen vor Ort.

Neben diesen Noteinsätzen haben Sie noch langfristige Projekte. Was ist dabei das Ziel und wie geht Apotheker ohne Grenzen an die Aufgabe ran?

Fischbach: Unser Ansatz ist dabei nicht: Wir kommen aus Deutschland, wir wissen was zum Beispiel Burundi braucht. Sondern wir unterstützen lokale Partner, um die Gesundheitsversorgung langfristig zu verbessern. Die Aufgaben sind dann sehr unterschiedlich. Geht es um den Einkauf von Medikamenten, versuchen wir immer lokal einzukaufen, um den Markt im jeweiligen Land zu stärken. Was uns besonders am Herzen liegt ist die Weitergabe von Wissen, zum Beispiel die sinnvolle Anwendung von Antibiotika um Resistenzen vorzubeugen. Oder wir klären über die Entsorgung von abgelaufenen Arzneimitteln auf und bauen sogar Verbrennungsöfen dafür. Durch Schulungen wollen wir uns auf lange Sicht überflüssig machen. Das Ziel der Projekte ist immer, dass wir dort irgendwann nicht mehr benötigt werden, weil das System ohne uns gut funktioniert.

In der Ukraine startete der Verein bereits wenige Tage nach dem russischen Angriff seine Nothilfe.

In der Ukraine startete der Verein bereits wenige Tage nach dem russischen Angriff seine Nothilfe.

Wie lange dauert das im Schnitt?

Fischbach: Bei manchen Projekten können wir uns schon nach drei Jahren verabschieden. Und dann gibt es Projekte wie in Argentinien, wo wir schon seit über 15 Jahren aktiv sind.

Wie entscheiden Sie, in welchen Regionen Sie tätig werden?

Fischbach: Mittlerweile haben wir etablierte Partnerschaften auf allen Kontinenten. Auf diese versuchen wir immer wieder aufzubauen. In Mexiko haben wir gerade ein Projekt beendet und werden wahrscheinlich bald ein neues aufbauen, weil wir uns dort schon gut auskennen und spanischsprachige Einsatzkräfte haben. Es kann aber auch sein, dass andere Organisationen auf uns mit einer neuen Idee zukommen. Wir prüfen das dann genau: Ob es eine pharmazeutische Relevanz gibt oder ob der Projektpartner eine ähnliche Vision verfolgt. Zum Beispiel ist es uns wichtig, religionsübergreifend zu arbeiten und keine Gruppe zu bevorzugen.

Sie haben auch in Deutschland Projekte. Wie kann es sein, dass Menschen hierzulande keinen Zugang zu Arzneimitteln haben?

Fischbach: In Deutschland gibt es Menschen, die aus der sogenannten Regelversorgung herausfallen. Das gilt für Obdachlose, für Asylsuchende, aber auch für Menschen, die durch finanzielle Schwierigkeiten die Beiträge der privaten Krankenversicherung nicht mehr zahlen können und nun nicht mehr in die gesetzliche Versicherung zurückkönnen. Dieses Problem ist vielen hierzulande nicht bewusst. Wir engagieren uns hier seit zehn Jahren und leisten gerne unseren Beitrag, aber der ist nicht nachhaltig. Hier muss die Politik eine Lösung erarbeiten. Das Recht auf Gesundheit ist schließlich ein Menschenrecht.

Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht

Wie kann man Ihre Arbeit unterstützen?

Fischbach: Am besten kann man uns durch eine zweckungebundene Spende unterstützen. Damit können wir entscheiden, für welches Projekt oder Einsatz gerade Geld benötigt wird. Alle Infos dazu befinden sich auf unserer Webseite. Manche Apotheken haben Spendendosen aus Plexiglas an der Kasse aufgestellt, auch dort kann man spenden. Wer unseren Verein langfristig in seiner Vision unterstützen will, kann auch Mitglied werden. Dafür muss man nicht in der Apotheke arbeiten, jede und jeder ist willkommen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie aktuell und in Zukunft?

Fischbach: Die Finanzen bleiben eine Herausforderung, weil wir auf kontinuierliche Spenden angewiesen sind. Dass viele Apotheken gerade selbst finanzielle Schwierigkeiten haben oder schließen müssen, verschärft die Situation natürlich. Dabei rechnen wir damit, dass die nächsten Jahre stark von Krisen und Kriegen geprägt sein werden, so wie in der Ukraine und Gaza. Um dort zu helfen, haben wir eine Art Langzeit-Nothilfe etabliert. Das kostet bei uns viel Kraft und Kapazitäten. Hinzu kommt der Klimawandel: Wir rechnen mit mehr Extremwetter wie Überschwemmungen oder Wirbelstürmen. Hier müssen wir vorbereitet sein und kontinuierlich Einsatzkräfte ausbilden. Bei all diesen Herausforderungen hilft es mir persönlich aber zu wissen, dass ich nicht handlungsunfähig vor dem Fernseher sitzen muss. Sondern dass wir bei Apotheker ohne Grenzen unseren Beitrag leisten.