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Nicht immer muss etwas Schlimmes passiert sein, um aufhören zu wollen. Mit dem Job, der Beziehung, dem Hobby. Was auch immer. Schließlich entwickelt man sich als Mensch stetig weiter. Und dieser Entwicklung schenkt man oft genug nicht die nötige Aufmerksamkeit.

Dann ist man mit einem Mal überrascht ob der unerträglichen Unzufriedenheit, die sich in einem bemerkbar macht. Morgens will man nicht aus dem Bett. Es ist, als sei man angekettet und unsichtbare Kräfte hielten einen fest. Auf dem Weg zur Arbeit fängt der Bauch an weh zu tun. Kurz bevor der Partner nach Hause kommt, beginnen die Kopfschmerzen. Der Körper zeigt einem eigentlich immer, wann Schluss ist. Man muss nur hinhören.

Aufhören fällt niemanden leicht

Hingehört hat offensichtlich auch Malu Dreyer. Letzte Woche entschied die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zurückzutreten. Seit dem 16. Januar 2013 hatte sie das Amt inne. Als Ministerpräsidentin war Dreyer bekannt für ihren pragmatischen und konsensorientierten Politikstil. Sie machte sich besonders für die Bildungspolitik, die Energiewende und den sozialen Zusammenhalt stark. Unter ihrer Führung konnte die SPD ihre Position in Rheinland-Pfalz behaupten, obwohl sie auf Bundesebene an Zustimmung verlor.

Aus ihrer Multiple Sklerose-Erkrankung (MS) machte Dreyer nie einen Hehl. Bei manchen öffentlichen Auftritten saß sie im Rollstuhl. Augenscheinlich beeinträchtigen ließ sich die Ministerpräsidentin von der MS aber nie. Doch die 63-Jährige hat nun die Reißleine gezogen. Ihr sei die Kraft ausgegangen, erklärte sie. Diese Entscheidung wird ihr nicht leichtgefallen sein. Würde sie wohl keinem von uns.

Was verbindet man selbst mit Loslassen?

Aufhören wird oft mit Aufgeben verwechselt. Aber das ist ein großer Irrtum. Die Psychologische Psychotherapeutin und Spiegel-Bestseller-Autorin Nesibe Kahraman, ehemals Özdemir, verdeutlicht den Unterschied folgendermaßen: „‘Aufhören‘ beschreibt im Grunde nur das Beenden einer Tätigkeit – ohne es zu bewerten – während ‚aufgeben‘ eine Konnotation von Scheitern oder Kapitulation innehat. Hier spielt also die eigene Bewertung eine große Rolle: Was assoziiere ich mit Aufhören und Loslassen? Diejenigen, die das Aufhören und Loslassen als ein Aufgeben oder gar Versagen bewerten und beispielsweise nicht als Befreiung und Neuanfang, zwingen sich selbst zum Festhalten und Klammern, weil alles andere potentiell selbstwertbedrohlich wäre.“

Menschen lieben gewohnte Routinen

Oftmals vergehen Monate oder Jahre, bis man sich traut, zu gehen und das alte Leben hinter sich zu lassen. Das kann an der Sorge liegen, die falsche Entscheidung zu treffen und keine Vision für die Zukunft zu haben. Menschen sind Routine-Tiere. Wir machen es uns in einer festgelegten Struktur bequem. Das hat viele Vorteile, aber eben auch Nachteile. In dem Augenblick, wo wir merken, dass uns die Struktur beengt oder nicht guttut, fällt es uns furchtbar schwer, die Routine zu verlassen und eine neue zu entwickeln.

Diejenigen, die das Aufhören und Loslassen als ein Aufgeben oder gar Versagen bewerten und beispielsweise nicht als Befreiung und Neuanfang, zwingen sich selbst zum Festhalten und Klammern, weil alles andere potenziell selbstwertbedrohlich wäre.“

Diese Wachstumsprozesse sind schmerzhaft und anstrengend. Je älter man wird, umso mehr weiß man um den Aufwand, der mit einer radikalen Veränderung einhergeht, aber man weiß auch, dass es in den meisten Fällen ein Licht am Ende des Tunnels gibt. Und auf dieses muss man sich fokussieren und den Sprung ins kalte Wasser wagen.

Das tat auch die ehemalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern. Im Januar 2023 gab sie überraschend ihren Rücktritt nach fünfeinhalb Jahren im Amt bekannt: „Ich weiß, was es braucht, um diesen Job zu machen. Und ich habe nicht mehr genug im Tank, um dem gerecht zu werden“, sagt sie damals.

Als Robbie Williams (vorne) aus der Boy-Band Take That ausstieg, brach für viele Fans eine Welt zusammen. Seine war schon vorher kaputt.

Als Robbie Williams (vorne) aus der Boy-Band Take That ausstieg, brach für viele Fans eine Welt zusammen. Seine war schon vorher kaputt.

Doch nicht nur aus der Politik gibt es berühmte Beispiele. Vor fast 30 Jahren erklärte auch der Popmusiker Robbie Williams seinen Rückzug. Am 17. Juli 1995 verließ er die erfolgreiche Boyband Take That. Über Jahrzehnte spekulierte man, was der Grund für den Ausstieg gewesen war.

Im Interview mit Scott Mills für BBC Radio 2 beschrieb der 48-Jährige seine damalige Entscheidung, die Band zu verlassen, folgendermaßen: „Ich glaube, ich war mitten in einem Nervenzusammenbruch, meinem ersten von vielen.“ Dem vierfachen Vater sei damals alles zu viel geworden. „Die Dinge liefen zu Hause nicht gut, die Dinge liefen in meinem Job nicht gut und dann war auch noch dieses Phänomen des extremen Ruhms neu für mich. [...] Es fühlte sich an, als wäre ich in einem brennenden Gebäude, aus dem ich rausmusste", erinnerte sich Robbie.

Kleine Anpassungen statt radikales Aufhören

Ein brennendes Gebäude, aus dem man heraus müsse. Diese Versinnbildlichung räsoniert sicher mit vielen, die schon einmal an einem Scheideweg standen. Die Frage ist und bleibt, wie man aktiv das Aufhören beeinflussen und vielleicht auch weniger einschneidend gestalten kann. Nesibe Kahraman rät deshalb: „Gerade, wenn Veränderungen oder Trennungen schwerfallen, kann es hilfreich sein, diese schrittweise anzugehen. Anstatt abrupt aufzuhören oder radikale Änderungen vorzunehmen, sind mehrere kleine Anpassungen oft sinnvoller.“

Auch die eigenen Bewertungen und Annahmen hinsichtlich der möglichen Veränderungen sollten reflektiert und hinterfragt werden, um mögliche Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Zudem ist es wichtig, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche besser wahrzunehmen und zu verstehen. So können rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, bevor die Situation unkontrollierbar wird. „Letztendlich geht es darum, proaktiv zu handeln und nicht zu warten, bis die Situation unerträglich wird“, sagt Kahraman.

Also erst hinhören und dann einfach aufhören. So geht man Schritt für Schritt ins neue Leben.


Quellen: