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"Der frühe Vogel fängt den Wurm", "Morgenstund hat Gold im Mund": Zeitiges Aufstehen hat einen guten Ruf, gilt geradezu als Zeichen von Disziplin und Tatendrang. Für den, der morgens lange schläft und erst im Laufe des Tages auf Touren kommt, kennt der Volskmund dagegen keine lobenden Sätze. Doch jetzt legt eine neue Studie nahe, dass Abendtypen, gern auch Eulen genannt, möglicherweise geistig leistungsfähiger sind als Lerchen – die Morgenmenschen.

Optimal für das Gehirn: Sieben bis neun Stunden Schlaf

Forscher aus Großbritannien, Südkorea und China griffen auf eine große britische Datenbank zurück. Insgesamt nahmen sie die Daten von mehr als 26.000 Menschen zwischen 53 und 86 Jahren unter die Lupe: Wie lange schliefen die Teilnehmer in der Regel? Für welchen Chronotyp hielten sie sich – schätzten sie sich eher als Morgenmenschen oder als Abendmenschen ein – oder als dazwischen? Und wie gut hatten die Teilnehmenden bei Tests des logischen Denkens, des Gedächtnisses und des Tempos der Informationsverarbeitung im Gehirn abgeschnitten? Die Studie zeigte, dass eine normale Schlafdauer von sieben bis neun Stunden offenbar am besten für die geistige Fitness ist – ein Ergebnis, das sich mit dem Stand der Forschung deckt.

Für welchen Zeittyp man sich hält, hängt vom Bettnachbarn ab

Überraschend war jedoch, dass Normal- und Abendtypen bei den Tests deutlich besser wegkamen als Morgenmenschen. Beeinflusst unser Biotrhythmus also, wie geistig fit wir sind?

Das würde Prof. Till Roenneberg nicht so stehen lassen. Die Studie sei zwar gut gemacht, sagt der Chronobiologe von der Ludwig-Maximillians-Universität München. Allerdings gebe es einige Schwachstellen. So seien die Selbstangaben der Probanden zu ihrem Zeitttyp nicht verlässlich. „Sie hängen nämlich von dem eigenen Bettnachbarn ab“, so Roenneberg. „Ist man selbst etwa eigentlich ein normaler Chronotyp , aber der Partner ein extremer Spättyp, wird man sich als frühen Typ einordnen.“

Testzeitpunkt wirkt sich auf Ergebnisse aus

Auch die Schlafforscherin Dr. Christine Blume vom Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel weist auf Schwachpunkte der Studie hin: "Die größte Schwäche besteht darin, dass nicht erfasst wurde, zu welcher Tageszeit die kognitiven Tests stattfanden." Dies aber wäre wichtig gewesen: "Denn mit dem Chronotypen ist nicht nur die Vorliebe für bestimmte Zeitfenster beim Schlafen gemeint, sondern auch Unterschiede in der Leistungsfähigkeit zu bestimmten Uhrzeiten." Studien zeigen, dass frühe Chronotypen ihre beste Leistung früher am Tag erbringen. Wenn die Tests spät am Tag stattgefunden haben sollten, hätten die Frühtypen genau deshalb weniger Chancen – dies würde die Ergebnisse verfälschen.

Hinzu kommt: Die Studie zeigt nur einen statistischen Zusammenhang zwischen Schlaftyp und geistiger Leistungsfähigkeit. Unklar bleibt, was Ursache ist und was Wirkung. Entscheidet der Chronotyp über die Intelligenz eines Menschen? Oder ist es umgekehrt? „Es gibt meines Wissens nach keine Belege dafür, dass der Chronotyp die geistige Leistungsfähigkeit beeinflusst“, sagt Till Roenneberg.

Tagesablauf beeinflusst, ob wir Spät- oder Frühtyp sind

Es könnte eher umgekehrt sein. Der Zeittyp hängt zum einen von den Genen ab. Zum anderen aber auch davon, wie viel Licht man am Tag ausgesetzt ist. „Wer tagsüber wenig Licht abbekommt ist, wird zum Spättypen“, sagt Till Roenneberg. Menschen, die eher Kopfmenschen seien, säßen womöglich eher im Büro, als dass sie einer Tätigkeit im Freien nachgingen. Dadurch würden sie zur Eule. In diesem Fall „beeinflusst also nicht der Chronotyp, wie geistig leistungsfähig man ist, sondern die geistige Leistungsfähigkeit beeinflusst umgekehrt, welcher Chronotyp man wird.“

Eulen haben es in unserer Gesellschaft schwerer

Für Christine Blume sind die Resultate der Studie überraschend. „Für die geistige Leistungsfähigkeit ist ausreichend Schlaf wichtig“, sagt die Schlafforscherin. Da in unserer Gesellschaft aber mit dem frühen Beginn der Arbeit und Schule Eulen eher benachteiligt würden, bekämen sie oft zu wenig Schlaf. „Insofern hätte ich eher erwartet, dass die Morgentypen besser abschneiden.“

Tatsächlich zeigen Studien, dass Menschen mit spätem Chronotyp tendenziell schlechtere schulische Leistungen erbringen. „Das liegt unter anderem daran, dass die Schule so früh beginnt.“

Fazit

Forscherin Christine Blume schlussfolgert deshalb: Dass Spättypen wirklich geistig leistungsfähiger sind, sei unwahrscheinlich.


Quellen:

  • West R, Wong RTC, Park JE et al.: Sleep duration, chronotype, health and lifestyle factors affect cognition: a UK Biobank cross-sectional study. BMJ Public Health: https://bmjpublichealth.bmj.com/... (Abgerufen am 29.07.2024)