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Einmal den US-Präsidenten zum Chef haben! Zumindest, wenn die Legende stimmt, dass Barack Obama einmal wortlos ein Fenster aufriss, als eine ältere Mitarbeiterin in einem Meeting einen Schweißausbruch bekam. Wünschen wir uns solche Vorgesetzte? Mitmenschen, die sehen und wissen, wenig Worte verlieren und handeln? Oder könnte so etwas auch unangenehm sein, beschämend, diskriminierend gar?

Darum wird es in diesem Text gehen. Um Tabus, die keine mehr sein sollten, mit denen umzugehen aber gar nicht so einfach ist. Um Schweißflecken auf dem Business-Kostüm oder unterm Ärztinnenkittel, um Knitterfalten – nicht auf dem Kostüm, sondern im Gesicht. Und um Scham oder den Wunsch, nicht aufzufallen. Bitte nicht so einen Wirbel um dieses Thema, ist doch schlimm genug, dass man älter wird.

Ferda Ataman, 45, Antidiskriminierungsbeauftragte, findet, dass der Arbeitsmarkt sensibler für die verschiedenen Lebensphasen von Frauen werden muss.

Ferda Ataman, 45, Antidiskriminierungsbeauftragte, findet, dass der Arbeitsmarkt sensibler für die verschiedenen Lebensphasen von Frauen werden muss.

Wenn die Gebärfähigkeit zuende geht

Laut Statistik leben in Deutschland rund elfeinhalb Millionen Frauen im Alter zwischen 40 und 59 Jahren, dem Zeitraum, in dem bei vielen die Wechseljahre losgehen. Jene Lebensphase, in der sich der Körper von der Gebärfähigkeit verabschiedet. Die weiblichen Sexualhormone Östrogen und Progesteron befinden sich im Sinkflug, die Periode gibt noch mal alles, bevor sie dann ausbleibt. Der Körper verändert sich. Die Stimmung auch. Und es passiert noch einiges mehr.

Die Menopause Rating Scale umfasst elf „offizielle“ Anzeichen für die Wechseljahre. Hitzewallungen, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Kontinenzprobleme: Was man gemeinhin kennt, ist nur ein Teil des üppigen Blumenstraußes an Symptomen. Manchmal sind sie kaum zu spüren (selten), ein Albtraum (öfter) oder eine Demütigung (ziemlich oft). Meist kommt es auf die Sichtweise an.

Wechseljahre immer häufiger im öffentlichen Diskurs

Die Wechseljahre sickern ins öffentliche Bewusstsein. Früher bissen sich die Frauen durch oder schluckten halt Hormone, Thema erledigt. Heute gibt es sehr erbittert geführte Diskussionen in sozialen Netzwerken um die Hormonersatztherapie, es gibt Bücher und Podcasts, Nahrungsergänzungsmittel, Vaginalcremes, Websites zur Aufmunterung und Ernährungsumstellung, die es den Frauen leichter machen wollen.

Manches davon lindert die Beschwerden wirklich – die Hormonersatztherapie beispielsweise. Oder ein recht neuer, hormonfreier Wirkstoff: Fezolinetant gegen Hitzewallungen. Die Wechseljahre sind ein Wirtschaftszweig geworden und ein politisches Tummelfeld.

Sicher ist: Keine Frau entgeht diesem Lebensabschnitt, weitergelebt werden muss trotzdem, gearbeitet werden auch, und zwar noch eine ganze Weile. Wie reagieren Unternehmen auf diese vielen Frauen – von denen die Mehrheit ein bisschen bis stark eingeschränkt ist in ihrem Alltag? Nicht alle können an einem schlechten Tag einfach mal die Kamera im Homeoffice aus lassen.

Erstaunlich, dass erst in diesem Jahr die erste deutschlandweite Studie zu Frauen in der Menopause im Job veröffentlicht wurde. Andrea Rumler, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, führte die Befragung „MenoSupport“ mit etwa 2000 Frauen durch.

Prof. Dr. Andrea Rumler, 61, befragte mit ihrem Team deutschlandweit über 2000 Frauen zu den Wechseljahren im Job.

Prof. Dr. Andrea Rumler, 61, befragte mit ihrem Team deutschlandweit über 2000 Frauen zu den Wechseljahren im Job.

Die von Andrea Rumler befragten Frauen konnten in der Studie sehr konkrete Wünsche ankreuzen. Ergebnis: Zwei Drittel wünschen sich flexiblere Arbeitsmodelle, einfühlsamere Führungskräfte. Gut 70 Prozent fordern eine offenere Kommunikation und Informationsangebote. Und über die Hälfte der Frauen wünscht sich eine psychologische Betreuung am Arbeitsplatz. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen im Arbeitsleben mitunter weit auseinander. Bislang muss sich ein Großteil der Frauen mit Wechseljahressymptomatik allein darum kümmern – das ist Privatsache. Hausärztinnen und Gynäkologen können zwar bei Beschwerden beraten, im Joballtag hilft das aber nicht.

Individuelles Empfinden

Sowohl das Erleben als auch der Umgang mit Symptomen und Beeinträchtigungen sind extrem individuell. Eine Fachkraft im Supermarkt hat ziemlich sicher andere Bedürfnisse beim Umgang mit ihren Symptomen in ihrem Job als eine DAX-Vorständin, eine Grundschullehrerin andere als eine Mechatronikerin.

Es gibt keine allgemeingültige Lösung für Frauen in dieser Lebensphase, darin sind sich sämtliche befragten Expertinnen und Experten einig. Manche machen es sich dagegen verblüffend einfach. So sagt Stefan Düll, Vorsitzender des deutschen Lehrerverbands: „Die Menopausen-Thematik habe ich so für meinen Berufsstand noch nicht wahrgenommen. Der Austausch darüber findet mutmaßlich informell zwischen den Kolleginnen statt. Ich glaube, dass dadurch, dass wir seit jeher sehr viel Homeoffice haben, vieles aufgefangen wird. Die Frauen sind letztlich Herrin der eigenen Zeit, solange sie nicht im Unterricht stehen.“ Thema erledigt. Werden so jene – hormonbedingt – leicht reizbaren Frauen gesehen, die sich Tag für Tag ab acht Uhr morgens mit Pubertierenden und deren Eltern auseinandersetzen sollen?

Altersdiskrimminierung im Job

Das Älterwerden hat hierzulande, vor allem im beruflichen Kontext, keinen guten Ruf. Alte Menschen bremsen, sind langsam, viel krank, ergo: teuer. Um ältere Frauen, gerade im Beruf, wabert zuweilen ein Image von aufgekratzt über hilflos mit Technik bis hin zu neunmalklug-meckernd oder hysterisch.

Ferda Ataman ist 45 Jahre alt und Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Sie erzählt, dass sich bei ihr viele Frauen ab 40 melden, „die nicht wegen ihres Geschlechts am Arbeitsplatz diskriminiert werden, sondern wegen ihres Alters“. Sie kämen nicht mehr voran. Seien zu alt für Führung, Beförderung, Fortbildung. Männern passiere das auch, aber erst später. Auf die Frage, ob Frauen in den Wechseljahren in Deutschland diskriminiert werden, antwortet sie: „Ja, durchaus.“

Das Gefühl, nicht genug zu sein

Anja Lüthy lehrt als Professorin für Betriebswirtschaft Personalmanagement an der Technischen Hochschule Brandenburg. Sie nennt den zentralen Grund, warum die meisten Frauen die Wechseljahre mit sich selbst austüfteln: Scham. Die Scham, reproduktionstechnisch keine Rolle mehr zu spielen, an Attraktivität einzubüßen; die Sorge, einfach nicht mehr so zu liefern und dann aussortiert zu werden, vom Radar zu verschwinden. Eine Weiblichkeit zu repräsentieren, die vieles ist, nur leider nicht (mehr) anziehend. Lüthy erinnert sich an schlaflose Nächte.

Dr. Ute Brambrink, 56, Vodafone-Sprecherin, will auch die Männer einbeziehen.

Dr. Ute Brambrink, 56, Vodafone-Sprecherin, will auch die Männer einbeziehen.

Sie war damals 47 Jahre alt, schwitzte Tag und Nacht, wusste nicht, was los war. „Ich fragte meine Mutter. Die sagte, papperlapapp, sie habe von ihren Wechseljahren nichts gespürt. Und außerdem sei ‚das‘ ja keine Krankheit, da käme jede Frau locker durch.“ Am Arbeitsplatz habe sie damals ihren Zustand nicht thematisiert: „Ich wollte kein Jammerlappen sein, sondern eine energiegeladene Frau.“

Aber den Beginn ihrer Vorlesungen habe sie, sobald es ging, nach hinten verschoben. Um morgens mehr Ruhe zu haben, wenn die Nacht schlimm war. In einer Phase, wo manchen die Puste ausgeht, hätten Frauen das Gefühl, noch extraviel leisten zu müssen, sagt Lüthy. „Sie wissen, dass viele Chefinnen und Chefs fragen: Warum eigentlich noch investieren in 50-Jährige?“

Viele scheiden aus dem Beruf aus

Die Hamburger Gynäkologin und Endokrinologin Dr. Katrin Schaudig ist hierzulande so etwas wie eine Wechseljahresaufklärerin. Ungerührt, mit fröhlichem Temperament und deutlichen Worten klärt sie auf – in Podcasts, Zeitungsartikeln, Gesprächsrunden. Von ihr stammt die These, dass ein erheblicher Teil der deutschen Frauen in Burn-out-Kliniken in Wahrheit unter Wechseljahressymptomen leidet: „Die Frauen landen dort, weil ihnen keiner richtig zugehört, keiner erkannt hat: Das ist ein physiologischer Prozess und den müssen wir auf irgendeine Art unterstützen.“

Es sei dramatisch, sagte Katrin Schaudig kürzlich in einer Gesprächsrunde, wie viele vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden. Wenn die Frauen verstanden, wahrgenommen, ernst genommen würden und selbst verstünden, was da mit ihnen passiert – „das ist schon die halbe Miete. Und es geht mir dabei nicht darum, die Frauen zum Ackern zu bringen, leistungsfähig zu halten, damit sie die Eltern pflegen. Das ist ein völlig anderes Thema. Wenn eine Frau zu mir sagt, ich bin nicht mehr ich selbst, dann muss ich handeln.“

England als Vorreiter

2021 bekam Dr. Ute Brambrink aus der Vodafone-Zentrale in England eine Studie und Informationen zum Thema Menopause auf den Schreibtisch. Heute ist Brambrink 56 Jahre alt und Pressesprecherin bei Vodafone Deutschland. Im Unternehmen sind knapp die Hälfte der Mitarbeitenden Frauen, darunter 36 Prozent im Alter zwischen 45 und 55 Jahren.

Susanne Liedtke, 54, schult Firmen in Sachen Menopause und klärt auf ihrer Website nobodytoldme.com auf.

Susanne Liedtke, 54, schult Firmen in Sachen Menopause und klärt auf ihrer Website nobodytoldme.com auf.

Überhaupt: Großbritannien. Die britische Equality and Human Rights Commission, eine Behörde für Gleichberechtigung und Menschenrechte, veröffentlichte Ende Februar dieses Jahres eine Richtlinie für Arbeitgebende. Hier wird betont, dass die Wechseljahre „bedeutende Auswirkungen“ auf Frauen im Job haben können. Es folgen Erklärvideos über simple Maßnahmen – Ruheräume, Kühlsysteme, luftigere Arbeitskleidung – und Anleitungen, wie Chefinnen und Chefs Gespräche mit den Frauen führen können.

Wechseljahresbedingte Fehltage sollen extra notiert werden und nicht in die Gesamtfehlstatistik einfließen. Disziplinarmaßnahmen können eine ungesetzliche Diskriminierung darstellen, heißt es am Ende. In den USA hat im vergangenen Jahr die Mayo Clinic in einer Studie versucht, die Kosten der Wechseljahre für den Arbeitsmarkt zu beziffern und kam dabei auf etwa 1,8 Milliarden Dollar für Arbeitsausfälle pro Jahr und 26,6 Milliarden Dollar jährlich, wenn man die medizinischen Kosten hinzurechnet.

So sieht die Lage in Deutschland aus

Anja Lüthy, 62, berät nebenberuflich Sozial- und Gesundheitseinrichtungen. Zusammen mit Palais F*luxx, einem Portal für Frauen ab 47, forscht sie zu Altersdiskriminierung.

Anja Lüthy, 62, berät nebenberuflich Sozial- und Gesundheitseinrichtungen. Zusammen mit Palais F*luxx, einem Portal für Frauen ab 47, forscht sie zu Altersdiskriminierung.

Und Deutschland? In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nach dem Schutz von Frauen mit Wechseljahresbeschwerden am Arbeitsplatz erklärte die deutsche Regierung, als leide auch sie unter „Brain Fog“, dem menopausalen Gehirnnebel: „Gute betriebliche Prävention ist die Grundlage dafür, dass Beschäftigte den Arbeits- und Kompetenzanforderungen zu jeder Zeit über ein ganzes Erwerbsleben hinweg gerecht werden und im Sinne der Teilnahme und Teilhabe am Arbeitsleben aktiv bleiben können.“ Konkrete Maßnahmen, Forschungsvorhaben oder gar eine nationale Strategie zum Thema Menopause seien „derzeit nicht geplant“.

Da scheint die Wirtschaft doch schneller zu sein, anders als Ferda Ataman vermutet. Vodafone, SAP, Bonprix, Kellogg’s, Edeka – alles große (und meist internationale) Unternehmen – haben sich die Menopause auf den Plan geschrieben, informieren darüber, coachen ihre Führungskräfte in Gesprächsführung, bilden Betriebsärztinnen und -ärzte weiter. Eine, die daran mitarbeitet, ist Susanne Liedtke. Man kann die Hamburgerin als Meno-Aktivistin bezeichnen. Ihr Geld verdient sie auch damit, dass sie Workshops für Unternehmen anbietet, die sich mit den Wechseljahren eingehender befassen wollen – und nicht so genau wissen, wie.

Im Hier und Jetzt glücklich sein

Bis sich das durchsetzt, werden viele Frauen im Job sich lieber einen Tag krankmelden, als laut zu sagen, dass sie mal wieder eine unerholsame, schlaflose Nacht hinter sich haben. Sie werden kurz nach draußen stürzen, um eine Hitzewallung vorüberziehen zu lassen, und lächeln, wenn der Nebel im Gehirn mal wieder zuzieht. Denn das können Frauen gut. Sich nichts anmerken lassen, weitermachen, sich durchbeißen. Die Wechseljahre sind lang, dauern im Schnitt sieben Jahre. Bei dieser Aussicht hilft Humor. Denn was Frauen auch oft gut können, gerade in der Lebensmitte: über sich lachen. Und vielleicht ist das neu an dieser Bewegung und neben aller Entschlossenheit und kämpferischer Lust etwas, das vieles einfacher macht.

„I’m running out of eggs and optimism“, schrieb neulich eine Autorin in der britischen Zeitung The Guardian, „mir gehen die Follikel aus und der Optimismus.“ Aber trotz Abschied von der Fruchtbarkeit wolle sie im Hier und Jetzt glücklich sein – man wisse ja nicht, was die Zukunft bringt. Schon lange plant sie ihre eigene Wechseljahresparty: „Alle werden Blau tragen, weil es kein Rot mehr geben wird.“


Quellen: