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Aktuell sind in den USA 151 Rinderherden in zwölf Bundesstaaten mit einem Vogelgrippevirus vom Typ H5N1 infiziert (Stand 12. Juli 2024). Obwohl die Behörden das Geschehen genau beobachten, scheint es sich nicht zu beruhigen.

Zudem ist kürzlich eine neue Studie erschienen, die nahe legt, dass es dem Virus bereits gelungen sein könnte, sich an jene Rezeptoren anzupassen, die auch Menschen im Nasen-Rachen-Raum tragen. Kann das Virus nun an sie andocken und viele Menschen infizieren?

Prof. Dr. Timm Harder, Laborleiter am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems, ordnet ein. „Mit jeder Kuh, mit jeder Katze, die das Virus infizieren kann, schenken wir ihm eine Reihe Lottoscheine, die es nach Belieben ausfüllen kann“, sagt der Experte, der auch die WHO berät.

Herr Professor Harder, wie schätzen Sie die Situation in den USA ein? Das Infektionsgeschehen von Milchkühen durch ein Influenzavirus vom Typ H5N1 scheint sich ja nicht zu beruhigen, sondern weiter Fahrt aufzunehmen. Beunruhigt Sie das?

Prof. Dr. Timm Harder ist Laborleiter am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems.

Prof. Dr. Timm Harder ist Laborleiter am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems.

Prof. Dr. Timm Harder: Ja, das ist in der Tat sehr ernst zu nehmen. Zum einen, weil eine bislang noch nicht betroffene Säugetierspezies infiziert ist. Und zum anderen sind solche Ereignisse immer das Tor zu möglichen Anpassungen des Virus an neue Arten, insbesondere an neue Säugetierarten. Das treibt uns derzeit vor allem um.

Kürzlich erschien eine Studie von Forschenden aus den USA und Japan. Sie wollen gezeigt haben, dass Frettchen und Mäuse das Virus auf Artgenossen übertragen können. Und dass es sich wohl schon in gewisser Weise angepasst hat an den Menschen, beziehungsweise an einen Rezeptor, den Menschen im Nasen-Rachen-Raum haben. Können Sie das einordnen?

Harder: Ja, dabei muss man auf die Details schauen. Diese Untersuchungen wurden zum Teil in Frettchen durchgeführt. Das sind klassische Modelltiere für Influenza. Anhand solcher Versuche lässt sich herausfinden, wie hoch das zoonotische Potenzial eines bestimmten Influenza-Virus tatsächlich ist. Das gehört zu den schwierigsten Beurteilungen, die man durchführen kann. Meistens macht man das in drei Stufen. Als erstes schaut man sich die Genom-Sequenz dieser Viren an und sucht nach bestimmten Veränderungen, sogenannten Markermutationen. Leider gibt es hier aber kein „schwarz“ und „weiß“, etwa: Wenn Mutation X da ist, ist das Virus an den Menschen angepasst. Und wenn sie fehlt, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Es ist immer eine Gemengelage.

Wovon hängt es denn noch ab?

Harder: Es kommt auf den Genom-Kontext an. Das heißt: Welche Sequenzen gibt es sonst noch im Erbgut von diesem Virus? Beeinflussen diese die Markersequenzen im positiven oder negativen Sinne? Letztendlich sind es immer Nettoeffekte, die beurteilt werden müssen. Und das fällt im Moment sehr schwer.

Sie sprachen eben von drei Stufen. Was sind zwei und drei?

Harder: Die zweite Stufe sind Untersuchungen in Zellkulturen und sogenannten menschlichen Explantaten. Das sind Gewebereste, die bei Operationen, zum Beispiel an der Lunge, anfallen. Man schaut, ob sich die Viren in diesen Zellkulturen vermehren können. Das bearbeiten verschiedene medizinische Forschergruppen, zum Beispiel unser Schwesterinstitut, das Robert-Koch-Institut. Aber auch das ergibt meistens kein klares Bild. Es verschiebt nur die Grautöne etwas. Deshalb greift man zum dritten Mittel: dem Frettchenmodell.

Warum gerade Frettchen?

Harder: Man hat festgestellt, dass die saisonalen Grippeviren – also jene, die bei uns zwischen Weihnachten und Ostern jedes Jahr auftreten – sich sehr gut in Frettchen vermehren und auch von Frettchen zu Frettchen über die Luft übertragen werden. Die Influenza-Viren, die nur unter Vögeln zirkulieren, können das nicht ohne weiteres.

Was bedeutet es, wenn ein Virus nun über die Luft von Frettchen zu Frettchen übertragen werden kann?

Harder: Dann wäre sozusagen die Alarmstufe erreicht und wir ordnen diesem Virus ein erhöhtes zoonotisches Potenzial zu. So weit und so geschlossen ist die Argumentationskette im Moment aber noch nicht. Die Frettchen konnten das Virus zwar übertragen, aber nicht effizient.

Also kann man anhand dieser Studie noch nicht sagen, dass sich das Virus an den menschlichen Rezeptor angepasst hat?

Harder: Nein, das kann man keineswegs rückschließen.

Warum vermehrt sich das Virus eigentlich ausgerechnet in Kühen?

Harder: Genau genommen vermehrt es sich nicht in Kühen, sondern in einem ganz bestimmten Gewebe: Dem Euter. Dort findet es genau jene Rezeptoren, die es auch im Vogel ansteuert. Daher kann es sich dort relativ ungestört vermehren. Die Kühe bekommen oft eine Euterentzündung, hohes Fieber und leiden auch entsprechend. Aber meistens heilt die Infektion innerhalb von 14 Tagen bis drei Wochen aus. Das größere Problem ist die Milch.

Weil da auch Virus drin ist?

Harder: Genau. Mit der Milch wird das Virus in sehr hohen Dosen ausgeschieden. Das hat sich zum Beispiel bei Katzen aus den betroffenen Beständen in den USA gezeigt. Auf fast jedem Milchviehbetrieb findet man Katzen, die lecken mal an verschütteter Milch oder ihnen wird vielleicht sogar eine Untertasse hingestellt. Diese Milch ist für Katzen hochinfektiös, viele sind tatsächlich an der Infektion gestorben. Das ist also ein Ausrufezeichen. Rohmilch, also die unbehandelte Milch dieser Tiere, birgt ein hohes Infektionsrisiko für Säugetiere. Das bereitet uns im Moment große Sorgen. Wir wissen noch gar nicht, wie viele Bestände in den USA tatsächlich betroffen sind. Damit ist das Risiko, dass Virus in die Lebensmittelkette kommt, sehr groß. Das ist auch bereits gezeigt worden. Eine Forschergruppe in den USA hat Milch und Milchprodukte aus Supermärkten in 38 Bundesstaaten untersucht. In etwa 20 Prozent der Produkte konnten sie H5N1-Virus-Genome nachweisen.

Aber keine infektiösen Viren, sondern nur Fragmente?

Harder: Ja, genau das ist der Punkt. All diese Produkte waren dem Prozess der Pasteurisierung unterzogen worden, dadurch wird das Virus sicher inaktiviert. Aber sämtliche Rohmilchprodukte – es gibt auch Rohmilchkäse – haben weiter einen fraglichen Status in den USA. Darauf sollte man in den USA unbedingt verzichten.

Okay. Sie sagten eben, die Katzen seien gestorben. Bei ihnen sowie bei Vögeln und anderen Säugetieren, die es schon befallen hat, geht das hochpathogene H5N1-Virus ins Gehirn. Das ist letztendlich die Todesursache. Bei den Kühen geht das aber nicht?

Harder: Nein, die Infektion scheint sich tatsächlich auf das Euter zu beschränken. Deswegen wird das Virus auch nicht über die Luft von Kuh zu Kuh übertragen, sondern es braucht – so ist im Moment jedenfalls das Verständnis – die infektiöse Milch. Da ist so viel Virus drin, dass ein kleines Tröpfchen ausreicht, um das Virus mit dem Melkgeschirr auf eine andere Kuh zu übertragen.

In der Nase oder im Rachenraum der Kuh sind nicht die richtigen Rezeptoren vorhanden?

Harder: Ja, genau. So ist die Lesart.

Aber es wäre möglich, dass sich das Virus so weiter verändert, dass es sie – beziehungsweise die Rezeptoren im menschlichen Nasen-Rachen-Raum – nutzen kann?

Harder: Durchaus. Für das Virus ist es wie ein Lottospiel. Mit jeder Kuh, mit jeder Katze, die es infizieren kann, schenken wir ihm eine Reihe Lottoscheine, die es nach Belieben ausfüllen kann. Das sind die Mutationen, die zufällig entstehen. Und je mehr Scheine es ausfüllt, das heißt, je mehr Säugetiere es infiziert, desto eher ist irgendwann mal ein Hauptgewinn dabei. Das wäre dann eine Anpassung an Säugetierrezeptoren, die denen des Menschen ähneln. Das wäre der „Worst Case“, vor dem wir uns im Moment fürchten. Deswegen ist das Bestreben, die Infektionen mit diesen Viren auf ein Minimum zu begrenzen. Es sollten möglichst gar keine Nutz- oder Haustiere einem Infektionsrisiko ausgesetzt sein. Die einzige Sphäre, in die sich das Virus zurückziehen kann, in die wir ihm nicht folgen können, sind Wildvögel.

Besonders riskant wäre eine Infektion bei Schweinen, richtig?

Harder: In der Tat. Deswegen schauen wir so kritisch auch auf die Hausschweinbestände. Die sind nämlich weltweit durchgehend infiziert mit Schweine-Influenza-Viren. Bei Schweinen gibt es – zumindest in Europa und auch bei uns in Deutschland – auch keine saisonale Grippe, wie wir das von Menschen kennen, sondern die sind eigentlich das ganze Jahr über positiv. Und viele der Viren, die beim Schwein zirkulieren, stammen ursprünglich aus dem Menschen. Das heißt, dort haben wir ein Reservoir von Influenza-A-Viren mit den unterschiedlichsten Eigenschaften und Anpassungen. Wenn da das H5N1-Virus hinzukäme, müsste man mit ganz anderen Konsequenzen rechnen. Denn wenn dieselbe Zelle mit zwei Viren infiziert ist, können Influenza-A-Viren Teile ihres Genoms miteinander austauschen. Wir sprechen von einer Reassortierung. Dabei könnte ein H5N1-Virus entstehen, dass plötzlich hochansteckend für Menschen ist.

Insofern haben wir noch mal Glück gehabt, dass es Kühe getroffen hat. Sie tragen keine Influenza-A-Viren.

Harder: Richtig. Das ist der große Glücksfall, wenn Sie so wollen. Es gibt beim Rind zwar Influenza-D-Viren, die spielen als Erreger von Atemwegsinfektionen aber eine untergeordnete Rolle. Und es besteht keine Möglichkeit einer Reassortierung mit Influenza-A-Viren wie dem H5N1-Virus.

Aus Sicht der Tierseuchenbekämpfung stehen die Chancen, diese Infektion in Milchviehbeständen in den USA zu kontrollieren und auszurotten, sehr gut – wenn denn konsequent entsprechende Maßnahmen ergriffen würden. Also Bestandssperrungen, Transportsperren und dergleichen.

Damit sind Sie nicht zufrieden?

Harder: Da sehen wir noch gewisse Defizite. Wir würden uns mehr wünschen, mehr Einsicht in die tatsächliche Verbreitung und mehr Durchgriff in positiv getesteten Herden.


Quellen:

  • Eisfeld A J, Biswas A, Guan L et al. : Pathogenicity and transmissibility of bovine H5N1 influenza virus. In: Nature 08.07.2024, 2024: 1-3
  • Spackman E, Jones D R, McCoig A M et al. : Characterization of highly pathogenic avian influenza virus in retail dairy products in the US. In: Journal of Virology 22.05.2024, 00881-24: 2024
  • U.S. Food and Drug Administration: Updates on Highly Pathogenic Avian Influenza (HPAI). Online: https://www.fda.gov/... (Abgerufen am 11.07.2024)