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Als Auslöser der Alzheimer-Krankheit gelten Eiweiß-Ablagerungen, die die Funktion zwischen und in den Nervenzellen stören. In der Folge sterben die Nervenzellen nach und nach ab, was etwa zu Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit führt.

Zu diesen Ablagerungen gehören TAU-Proteine, die sich in den Gehirnzellen bilden und Beta-Amyloid-Plaques, die sich außerhalb der Nervenzellen ablagern. Das Medikament Lecanemab ist ein Antikörper-Präparat, das sich gezielt gegen das Beta-Amyloid richtet. Das ermöglicht es erstmals, die Ursachen der Erkrankung zu behandeln – statt nur die Symptome.

Nun hat sich die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) jüngst gegen eine Zulassungsempfehlung von Lecanemab ausgesprochen. Was bedeutet das für Patientinnen und Patienten in Deutschland? Dazu haben wir Dr. Katharina Bürger befragt. Sie leitet die Gedächtnisambulanz am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am Klinikum Großhadern und ist erste Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft München.

Frau Dr. Bürger, wie groß ist die Enttäuschung, dass der Wirkstoff Lecanemab nun doch nicht für die Behandlung von Alzheimer zugelassen wurde?

In den vergangenen Wochen hat es sich schon angedeutet, dass es – anders als in den USA, Südkorea oder Japan – in Europa keine Zulassung für den Wirkstoff Lecanemab geben könnte. Daher haben wir vom Deutschen Netzwerk Gedächtnisambulanzen ein Statement an das beratende Gremium geschickt. Dieses besteht zwar aus Neurologen, aber eben nicht aus Alzheimer-Spezialisten. Und da wir uns speziell mit diesem Thema beschäftigen, war es uns wichtig, unsere Haltung noch einmal deutlich zu machen – aber offenbar ohne Erfolg.

Wir hätten verstanden, wenn die Zulassungsbehörde noch weitere Studien angefordert hätte. Wir hätten auch verstanden, wenn das Medikament unter sehr strengen Auflagen zugelassen worden wäre. Aber es komplett abzulehnen, das ist für uns, die wir im Alzheimerbereich tätig sind, eine große Enttäuschung – und für die Patienten natürlich eine noch viel größere.

Lecanemab auf dem ganzen Kontinent nicht zuzulassen, ist ein Rückschlag. Denn gerade bei frühdiagnostizierten Patienten belegen die Studienergebnisse eine positive Wirkung

Warum hat sich die EMA gegen eine Zulassung des Alzheimer-Medikaments Lecanemab ausgesprochen?

Lecanemab gehört zu den Anti-Amyloid-Antikörpern. Diese Substanzklasse kann zu Schwellungen und Blutungen im Gehirn der Patienten führen. Die meisten Fälle blieben ohne Symptome, bei einigen gab es Symptome wie Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerz, auch Krankenhausaufenthalte wurden erforderlich. Zwei Patienten unter Lecanemab verstarben an Hirnblutungen, die gleichzeitig starke Medikamente zur Blutverdünnung erhielten.

Daher kam der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA – abgekürzt CHMP – zu dem Schluss, dass die Verzögerung des Abbaus kognitiver (geistiger) Fähigkeiten durch Lecanemab das Risiko schwerwiegender unerwünschter Ereignisse im Zusammenhang mit dem Arzneimittel nicht aufwiegt.

Was kritisieren Sie an der Entscheidung?

Auch uns ist bewusst, dass Lecanemab kein Allheilmittel ist. Es ist auch klar, dass diese Therapie eine sorgfältige Frühdiagnostik erfordert und die Therapie wegen potenzieller Nebenwirkungen sorgfältig überwacht werden müsste. Die Patienten bräuchten außerdem eine gute Aufklärung, damit sie entscheiden können, ob sie es nehmen möchten oder nicht. Aber es auf einem ganzen Kontinent nicht zuzulassen, ist ein Rückschlag. Denn gerade bei frühdiagnostizierten Patienten belegen die Studienergebnisse eine positive Wirkung.

Wäre es denn für Ärztinnen und Ärzte möglich, Lecanemab trotz fehlender Zulassung zu verschreiben?

Der Wirkstoff ist theoretisch über die internationale Apotheke zu beziehen – aber der Arzt wird dafür kein Rezept ausstellen. Wir haben genau diese Frage im Kollegenkreis und auch im Klinikum besprochen: Wenn eine Substanz abgelehnt wurde, gibt es für die Behandler überhaupt keine Haftungsdeckung. Das heißt, dann liegt das Risiko allein beim behandelnden Arzt, noch nicht einmal bei der Berufshaftpflichtversicherung.

Stellen wir uns also vor, dass vielleicht doch jemand das Präparat aus eigener Tasche bezahlt. Sollten sich Nebenwirkungen entwickeln und eine stationäre Behandlung erforderlich werden, würde der Arzt persönlich und aus eigener Tasche diesen Aufenthalt bezahlen müssen. Der Patient kann den Arzt auch nicht von dieser Verantwortung entbinden. Daher ist das nach meinem Verständnis keine Option.

Könnte Lecanemab zu einem späteren Zeitpunkt zugelassen werden?

Die Hersteller-Firma hat die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen Widerspruch einzulegen. Da die Studie weiterläuft, wäre es vorstellbar, dass inzwischen neue Daten vorliegen. Vielleicht können die ein Umdenken des Gremiums bewirken. Außerdem hoffe ich, dass auch die einhelligen Reaktionen von den Fachverbänden, von den Patientenverbänden und Alzheimer-Gesellschaften etwas bewegen.

Gibt es therapeutische Alternativen?

Wir hoffen auf die Zulassung eines anderen Antikörper-Wirkstoffs, des Donanemab. Der ist kürzlich in den USA zugelassen worden. Für Europa wurde ein Zulassungsantrag gestellt, der zurzeit von der EMA geprüft wird. Dieser Wirkstoff hat den Vorteil, dass er in Studien zeigen konnte, dass nach spätestens anderthalb Jahren der Therapie das Zielmolekül, das Beta-Amyloid, aus dem Gehirn entfernt ist. Bei Lecanemab ist noch unklar, wie lange man die Therapie durchführen muss.


Quellen:

  • ClinicalTrials.gov: A Study to Confirm Safety and Efficacy of Lecanemab in Participants With Early Alzheimer's Disease (Clarity AD). https://www.clinicaltrials.gov/... (Abgerufen am 30.07.2024)
  • European Medicines Agency (EMA): Leqembi – Lecanemab. https://www.ema.europa.eu/... (Abgerufen am 30.07.2024)
  • European Medicines Agency (EMA): Meeting highlights from the Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) 22-25 July 2024. https://www.ema.europa.eu/... (Abgerufen am 30.07.2024)
  • van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P et al.: Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. In: N Engl J Med: 29.11.2022, https://doi.org/...