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Füße hoch, Glotze an, der Wunsch nach Zerstreuung schwebt im Raum. Und dann kommt folgende Info zum Intro der Lieblingsserie auf dem Bildschirm: „In dieser Folge geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.“ Derlei Hinweise werden auch Triggerwarnung genannt. Vor was konkret gewarnt wird, ist von Inhalt zu Inhalt unterschiedlich: Alkohol, Gewalt, Rauchen, Krieg … Verwendet werden Triggerwarnungen häufig bei Video-Streamingdiensten, Podcasts, manchmal vor Sachtexten und in Romanen

Schutz vor traumatisierendem Inhalt

Triggerwarnungen richten sich vor allem an Menschen, die traumatisiert wurden. Diese haben psychisch belastende Ausnahmesituationen erlebt, leiden darunter und befinden sich vielleicht in Therapie. Sehen diese Menschen dann einen Inhalt, der sie an das traumatische Erlebnis erinnert, können sie dadurch getriggert werden. Sie werden also erneut verstört. Aber die Hinweise richten sich auch an Menschen ohne traumatische Vorgeschichte: Dann sollen die Warnungen allgemein verhindern, dass jemand mit Inhalten in Kontakt kommt, die belasten können und zu viel für sie oder ihn sind.

Der Begriff „Triggerwarnung“ werde zwar mittlerweile nahezu inflationär verwendet, so Prof. Dr. Martin Teufel, Direktor der LVR - Universitätsklinik für Psychosoma­tische Medizin und Psychotherapie in Essen. Trotzdem sind Triggerwarnungen oder Inhaltswarnungen kaum erforscht. „Es gibt wenige Erkenntnisse, die bei näherer Betrachtung zudem noch sehr unterschiedlich ausfallen. Ich denke, es kommt immer auf den Einzelfall an“, schlussfolgert Teufel. Da Triggerwarnungen aber immer allgemeine Warnungen sind, stellt sich die Frage: Wie können sie auf den Einzelfall eingehen?

Nur eine Modeerscheinung?

Das erneute Erleben vergangener Traumata bezeichnen Psychologen mit dem Begriff „Re-Traumatisierung“. Diese könne schon durch die Triggerwarnung selbst ausgelöst werden, glauben manche Experten. „Der Re-Traumatisierungs-Begriff wird kontrovers diskutiert“, sagt Martin Teufel. Aber gibt es das Phänomen überhaupt? In seiner Klinik sei ihm noch keine Patientin und kein Patient begegnet, die oder der aufgrund einer Triggerwarnung erneut traumatisiert worden sei. Ebenso wenig kennt Teufel Fälle, in denen ein Buch oder Film einen Menschen traumatisierte, weil eine Triggerwarnung am Anfang gefehlt habe. Sind Triggerwarnungen am Ende also eine Modeerscheinung und im Prinzip Unfug?

Diplom-Psychologin und Traumatherapeutin Stefanie Wekenmann vom Universitätsklinikum Tübingen hat für die Apotheken Umschau eine kleine Umfrage unter Trauma­patientinnen und -patienten durchgeführt. Außerdem verschaffte sie sich einen Überblick im Fachkollegium, wie die Position zu Triggerwarnungen ist. Auf Expertenseite habe es keine konkrete Haltung pro oder kontra gegeben. Wekenmann: „Unser Ziel ist es, Leute mithilfe von Training zu befähigen, selbst unterscheiden zu können, was für sie geeignet ist und was nicht.“

Orientierung für Betroffene

Auch bei Patientinnen und Patienten gingen die Ansichten auseinander. „Manche prüfen Bücher, Filme, Hörspiele vorher genau. Sie informieren sich, ob etwas Verstörendes vorkommen könnte – das ist dann die Entscheidung für möglichst viel Sicherheit“, so Wekenmann. Aber es gebe genauso Betroffene, die den Weg der bewussten Auseinandersetzung mit schwierigen Themen bevorzugen. Diese bestünden gar nicht auf Warnungen, weil sie ihre Fähigkeit prüfen wollten, Reizthemen und schwierige Inhalte auszuhalten. „Sie entscheiden sich für die ‚Überraschung‘, vertrauen der eigenen ­Stärke oder testen sie“, fasst die Psychologin zusammen.

Für Triggerwarnungen spricht, dass Menschen mit Trauma eine Orientierung erhalten. Vor allem, wenn ein schockierender Inhalt plötzlich kommt, sind Vorwarnungen für Prof. Dr. Claus-Christian Carbon prinzipiell eine gute Idee. Der Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg denkt dabei an eine Vorlesung über Verkehrspsychologie, die er einst gehalten hat. Dabei zeigte er ein englisches Video, das eine fiktionale, drastische Unfalldarstellung mit Jugendlichen enthielt. Keiner der Beteiligten hatte überlebt. In diesem Fall habe er eine Warnung vorausgeschickt, bevor er auf Play drückte: „Weil man es hier aus dem Kontext heraus und aufgrund deutscher Sehgewohnheiten nicht erwarten konnte.“

Triggerwarnung kann innere Anspannung auslösen

Auf der anderen Seite gibt es für Carbon aber auch Gründe gegen Warnhinweise: „Der Zuschauer kann durch die Warnung, dass irgendwann in einem Film ein extremer Inhalt kommt, auch in eine innere Anspannung verfallen. Dadurch gerät er in permanente Habachtstellung.“ Zudem sieht Martin Teufel keine psychologische Notwendigkeit, vor wirklich allem warnen zu wollen, was Angst auslösen könnte: „Angst ist etwas, das uns als Menschheit schon sehr lange überleben lässt: ‚Da kommt ein Tiger, ich laufe weg!‘ Wir sind quasi darauf eingestellt, mit Angst klarzukommen.“

Nicht alles, was einem Menschen Angst macht, muss vermieden werden. Bei Prüfungsangst etwa triggert die Aussicht auf den Test die Ängste eines Kindes. Aber Prüfungsangst ist in gewissem Maße normal. Erst wenn ein Mensch vor Angst seinen gewohnten Alltag nicht mehr leben und leisten kann, ist es ratsam, sich Hilfe zu holen – und im Rahmen einer Therapie Trigger eventuell auch erst einmal zu meiden.

Keine Garantie

Anspruch auf Vollständigkeit kann eine Triggerwarnung nicht erheben. Denn: Oft sind Trigger so individuell, dass sie durch jedes noch so eng aus Warnungen und Hinweisen geknüpfte Sicherheitsnetz schlüpfen. Psychologe Carbon selbst hat aufgrund einer Erfahrung in der Kindheit Angst vor Luftballons: „Aber deshalb kann man ja nicht am Anfang eines Werkes vor so etwas Unschuldigem wie Ballons warnen.“

Triggerwarnungen haben also das Problem, dass sie keine Garantie sind – weil sie niemals vollständig sein können. Auf der anderen Seite geben sie aber manchen Traumapatientinnen und -patienten eine hilfreiche Orientierung, besonders bei überraschend auftauchenden Triggern. Nachweislich geschadet haben sie nach aktuellem Kenntnisstand noch niemandem. Allenfalls vermitteln sie denen, die sich ganz auf sie verlassen, eine falsche Sicherheit.


Quellen:

  • Crew des IfZ: Triggerwarnung, In diesem Text geht es um sexuelle und sexualisierte Gewalt, Beispiele zu diesen Themen sowie Beispiele zu Diskriminierungserfahrungen.. Institut für Zukunft: https://ifz.me/... (Abgerufen am 01.11.2023)
  • Joachim Scholl: Marlen Pelny: „Liebe / Liebe“, Debütroman mit Triggerwarnung . Deutschlandfunk Kultur: https://www.deutschlandfunkkultur.de/... (Abgerufen am 01.11.2023)