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Warum gibt es noch kein künstliches Blut?

Dieser Satz fehlt selten, wenn Bürgermeister oder Rotkreuzbeauftragte langjährige Blutspender ehren: „Noch immer ist es der Wissenschaft nicht gelungen, künstliches Blut herzustellen.“ Damit haben die Redner im Prinzip recht – aber doch nicht ganz.

Vollblut wird nur bei Eigenblutspenden und auch sonst nur in Ausnahmefällen übertragen. Stattdessen wird es in seine Bestandteile zerlegt. Je nach Notwendigkeit werden dann rote Blutzellen (Erythrozyten), Blutplättchen (Thrombozyten), Blutplasma (der flüssige Anteil mit vielfältigen Inhaltsstoffen) und seltener weiße Blutkörperchen (Leukozyten) sowie andere Blutbestandteile transfundiert.

Bei Erythrozyten und Thrombozyten arbeiten Forscherinnen und Forscher bereits an einer Art künstlichem Ersatz, auch deutsche Gruppen sind beteiligt. Noch ist die Ausbeute allerdings gering, obwohl sich Forschende seit Jahrzehnten mühen. Blutzellen stellen sie vor vielfältige Herausforderungen. Doch Entwicklungen der Gentechnologie und der Stammzellforschung haben jetzt Fortschritte ermöglicht.

An der Uni Dresden hat Laborleiterin Dr. Romy Kronstein-Wiedemann Vorläuferzellen hergestellt, die sich dank weiterer Bearbeitung im Labor zu roten Blutzellen umwandeln könnten. Allerdings bereitet der letzte Schritt noch Schwierigkeiten, wenn sich die unmittelbaren Vorläuferzellen ihres Kerns entledigen und zu Erythrozyten werden sollen.

Auch bei Blutplättchen stehen Versuche bei Menschen aus. Rund 500 000 Konserven davon wurden 2022 in Deutschland übertragen, wie die Statistik des zuständigen Paul-Ehrlich-Institus aufzeigt. Prof. Dr. Rainer Blasczyk und Prof. Dr. Constanca Figueiredo von der Medizinischen Hochschule Hannover versuchen, mit gezüchteten Plättchen einen Teilbedarf zu decken.

Wie könnten Patientinnen und Patienten künftig profitieren?

„Wir können mit den gezüchteten Erythrozyten bisher keine Patienten versorgen“, sagt Prof. Dr. Torsten Tonn, bis vor Kurzem Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin in Dresden und mittlerweile nach Frankfurt am Main gewechselt. 3,2 Millionen Erythrozyten-Konserven wurden 2022 in Deutschland transfundiert. „Wir werden niemals Blutspenden ersetzen können, das ist auch nicht das Ziel“, betont Tonn.

Doch wozu dann die Mühen in Dresden und international? Dazu muss man wissen, dass die Blutgruppen A, B, AB und 0 sowie der Rhesusfaktor zwar die wichtigsten sind. Doch es gibt viel mehr, insgesamt 45 Blutgruppensysteme sind bekannt. Sie alle benennen Proteine und Zuckerverbindungen, die auf der Oberfläche der roten Blutzellen vorhanden sein können.

Nun gibt es aber Menschen, denen viele davon oder alle fehlen. Bei ihnen kann es zu lebensgefährlichen Antikörper-Reaktionen kommen, auch wenn sie im AB0-System und im Rhesusfaktor dem Spendenden entsprechen. Vor allem auf diese Menschen zielt die Forschung in Dresden. Bisher müssen Spenderinnen und Spender für sie aufwendig gewonnen werden. Labor-Erythrozyten könnten ihre Versorgung verbessern.

Zu Immunreaktionen beim Empfänger, besonders bei mehreren Transfusionen, kann es auch bei Blutplättchen kommen. Wenn die sogenannten HLA-Merkmale auf der Zelloberfläche nicht übereinstimmen, kann das Immunsystem des Empfängers die Spende zunichtemachen. Die Gruppe um Prof. Dr. Rainer Blasczyk entfernt daher diese Merkmale in einem frühen Stadium der Zellzüchtung. Aber nicht vollständig, sonst würde das Immunsystem die Thrombozyten ebenfalls zerstören.

Bei Erythrozyten wie bei Blutplättchen ist der letzte Entwicklungsschritt im Labor schwierig. Deshalb greift man in Hannover zu einem „Trick“: Man infundiert die Vorläuferzellen und überlässt dem Körper das Abschnüren der Blutplättchen. „Der Körper ist der beste Bioreaktor“, sagt Blasczyk. In Mäusen funktioniert das Prinzip bereits. Binnen zwei Stunden sind fehlende Blutplättchen ersetzt.

Für eine akute Blutung wäre das zu lange. Aber der Laborersatz käme überall dort infrage, wo ein chronischer Mangel infolge einer Erkrankung oder einer Krebsbehandlung vorliegt. Vor dem Beginn von Studien an Menschen verlangt das Paul-Ehrlich-Institut – die Zulassungsbehörde für Blutprodukte – allerdings noch zusätzliche Versuche, um das Risiko einer Tumorbildung noch eindeutiger auszuschließen.


Quellen:

  • Kronstein-Wiedemann R et al.: Blood Pharming – A Realistic Option?. In: Transfusionsmedizin 01.08.2024, 11: 162-174
  • Trakarnsanga K et al.: An immortalized adult human erythroid line facilitates sustainable and scalable generation of functional red cells. In: Nature communications 14.05.2017, 81: 1-7
  • Kuehn BM: Could Universal Donor Blood Be Made in the Laboratory?. In: JAMA 21.11.2023, 330: 1824-26
  • International Society of Blood Transfusion: 201 Table of blood group systems. https://www.isbtweb.org/resource/tableofbloodgroupsystems.html: https://www.isbtweb.org/... (Abgerufen am 15.05.2024)
  • Paul-Ehrlich-Institut: Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts über die nach § 21 Transfusionsgesetz gemeldeten Daten, Bericht für das Jahr 2022. https://www.pei.de/... (Abgerufen am 15.05.2024)
  • NHS Blood and Transplant: First ever clinical trial of laboratory grown red blood cells being transfused into another person. https://www.nhsbt.nhs.uk/... (Abgerufen am 15.05.2024)
  • Blasczyk R: Blutkonserven aus der Retorte. https://www.trillium.de/... (Abgerufen am 15.05.2024)
  • Figueiredo C; Blasczyk R: Generation of HLA Universal Megakaryocytes and Platelets by Genetic Engineering. In: Frontiers in Immunology 01.10.2021, 12: 1-9
  • Pogozhykh D et al.: Biotechnologisch hergestellte Megakaryozyten und Thrombozyten. In: Transfusionsmedizin 01.08.2020, 10: 159-174
  • Thrombozyten Arbeitsgruppe DGTI, GTH und DGHO: Empfehlungen zur Thrombozytentransfusion. https://redaktion.onkopedia.com/... (Abgerufen am 15.05.2024)
  • Baigger A et al.: Towards the Manufacture of Megakaryocytes and Platelets for Clinical Application. In: Transfus Med Hemother 01.06.2017, 44: 165-173
  • Lawrence M et al.: Using genome editing to engineer universal platelets, Review Article. In: Emerging Topics in Life Sciences 17.04.2019, 3: 301-311