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Für die Forschung muss Sergej Sperling schon mal Blut lassen. Nur wenige Sekunden dauert es, bis das erste Insekt den Saugrüssel in seiner Haut versenkt. Bald sind es rund ein Dutzend, alle dicht gedrängt in einem kleinen Kreis auf seinem Unterarm. Als der Forscher vor dem Versuch Anti-Mückenmittel auftrug, lag hier eine Euromünze. „Den Mücken genügt ein unbehandelter Fleck von einem halben Zentimeter“, erklärt Sperling und blickt dabei gelassen auf die Insekten, die sich an seinem Blut laben. Sie finden jede freie Stelle, zielsicher. Und stechen zu. Ein Anti-Mückenmittel nicht lückenlos aufzutragen, ist daher einer der häufigsten Fehler, den Menschen bei der Mückenabwehr machen.

Und es ist nicht der einzige, wie Sperling weiß. Als Leiter des Mückenlabors der Firma Biogents kennt er sich mit den Blutsaugern aus – und ihren Stichen. „Auf keinen Fall kratzen, wenn es juckt. Nicht mal drüberreiben“, betont er streng. Sonst schlägt die körpereigene Abwehr nur noch stärker Alarm. Ein Dutzend Stiche? Ihn selbst juckt das längst nicht mehr. Wie viele Tausend Mücken ihn bei seiner Arbeit in den schwülwarmen Räumen schon gestochen haben, kann er nicht mal schätzen. Sperlings Immunsystem ist mit der Zeit sozusagen müde geworden und reagiert kaum mehr auf die Eiweiße im Mückenspeichel.

Anders als bei den Studierenden, die als Testpersonen im Keller des Regensburger Labors normalerweise zu Mückenopfern werden. „Eine sichtbare Reaktion ist sogar Bedingung“, erklärt Sperling. Nur so wird klar, wann ein Mückenabwehrstoff seine Wirkung verliert. Dies für Hersteller zu prüfen, ist eines der Standbeine von Biogents. Dazu haben die Forscher eine spezielle Anlage entwickelt – ein Unikat. „Wir haben sehr lange daran gebastelt“, erzählt Dr. Andreas Rose. Gemeinsam mit einem Uni-Kollegen hat der Insektenforscher die Firma vor mehr als 20 Jahren gegründet.

Die gläsernen Testkästen sind über flexible Schläuche mit der Außenluft verbunden, die wie Krakenarme aus der Decke ragen. Sie sorgen für Frischluft, damit die Mücken den ganzen Versuch über klar im Kopf bleiben – und stechlustig. Denn die Mückenabwehrstoffe können ihre Sinne vernebeln. Jede halbe Stunde ist wieder Stechzeit. Die Testperson drückt ihren Arm gegen eine Öffnung auf der Unterseite des Käfigs. Dann heißt es: warten. Drei Minuten lang. Und ruhig zusehen, wie sich die kleinen Vampire niederlassen und trinken. Aber die Qual dauert nicht lange. „Nach zwei Stichen ist der Test vorbei“, erklärt Sperling.

Die Stechexperimente verraten aber nicht nur, wie lange Mückenmittel wirken. Sie haben auch viele Mückenmythen entlarvt, ebenso wie unwirksame Produkte. Armbänder gegen Mücken oder Mückenpads mit lustigen Tiergesichtern? „Alles Abfall“, sagt Sperling. Was die Blutsauger dagegen anzieht: Alkohol. Je mehr Promille die Testpersonen im Blut hatten, desto stechlustiger wurden die Tiere. Ob die Mücken dann beschwipst im Kreis fliegen? „Wäre mal eine schöne Doktorarbeit“, meint Rose und lacht.

Kein Mythos ist ebenfalls, dass manche Menschen wahre Mücken-Magneten sind. Zum beliebten Opfer macht sie der richtige Cocktail aus Kohlendioxid, Milchsäure, Ammoniak und Fettsäuren, die über die Haut ihren Duft verströmen. „Manche Menschen produzieren auch Mückenabwehrstoffe“, erklärt Rose. Während er selbst von den Insekten eher verschmäht wird, sind sie auf seinen Mitarbeiter Sergej Sperling ganz wild. Warum? Unklar. Welcher Mix Mücken besonders betört, haben die Tiere den Forschern noch nicht verraten.

Auch sonst geben Stechmücken noch viele Rätsel auf. Jede Art birgt ihre eigenen Geheimnisse. Wie etwa die Ägyptische Tigermücke. Ein Kellerraum trägt das Türschild „Aedes aegypti“, der zoologische Name des Insekts. Dahinter warten in tropischer Schwüle Tausende winzige Blutsauger in Zuchtkäfigen. Schon der Anblick erzeugt Juckreiz. Nähert man sich vorsichtig mit einer Handfläche, stecken sie ihre winzigen Rüssel gierig durch das Gazegitter. Menschenblut ist ihre Leibspeise. In Regensburg müssen sie sich meist mit Rinderblut zufriedengeben. Das trinken allerdings nur die Weibchen. „Sie brauchen Eiweiß, um Eier zu legen“, erklärt Rose.

Die Mücken in den Käfigen sind lästig, aber harmlos. Vor allem in den Tropen können sie allerdings tödlich sein. Tigermücken sind dort die Hauptüberträger gefährlicher Erkrankungen wie Chikungunya-, Dengue- und Zikafieber. Um ansteckend zu werden, müssen sie bei einer erkrankten Person Blut saugen. Das könnte irgendwann auch hier passieren. Denn die Tigermücken breiten sich aus, überwintern inzwischen schon in Deutschland. „Der Klimawandel führt außerdem dazu, dass sich Krankheitserreger in ihnen besser entwickeln“, sagt Rose. Im vergangenen Jahr gab es Dengue-Alarm am Gardasee. Zum allerersten Mal war es vor Ort zu Übertragungen gekommen. Solche Ausbrüche schnell einzudämmen, könnte in Zukunft auch in Europa eine wichtige Aufgabe werden. Eine effiziente Mückenfalle wäre dabei eine enorme Unterstützung.

Um eine solche zu entwickeln, haben die Forscher die Vorlieben der Tigermücke genau studiert. Ein Ergebnis: Sie fliegt vor allem auf den Geruch von Milchsäure, den unsere Haut verströmt. Zum perfekten Mückenparfüm wird dieser aber nur, wenn er zusätzlich die richtige Form hat. „Jeder Mensch gibt eine bestimmte Duftfahne ab“, erklärt Rose. Für ihre Forschung haben die Mückenexperten zum Beispiel die Ausdünstungen von Menschen beobachtet, die heiß dampfend aus der Sauna kamen. Das Ergebnis war schließlich eine Falle, die den Lockduft in menschenähnlicher Form verströmt. Wie viel Tüftelarbeit in ihr steckt, sieht man der braunen Plastikbox auf den ersten Blick nicht an.

Dass die Falle tatsächlich effektiv ist, um Mücken zu bekämpfen, zeigte sie bei einem Pilotprojekt auf einer Urlaubsinsel der Malediven. Das Luxusresort hatte Insektizide eingesetzt. „Die haben jeden Tag gesprüht“, erzählt Rose. Am Ende flog dort kaum mehr ein Schmetterling, keine Zikade zirpte. Alles ausgelöscht. Man stellte auf Fallen um – und bald summte es wieder auf der Insel. Das Sirren von Mücken hörte man allerdings kaum. „Wir haben die Mückenpopulation mit den Fallen fast auf null gedrückt“, sagt Rose stolz.

Ob Mücken sich auch hierzulande bald zur Gefahr entwickeln, kann niemand sicher sagen. Fest steht: „Wir werden die Tigermücken erst mal nicht mehr vollständig los“, sagt Sperling. Schließlich ist Deutschland keine Insel. Im Kampf Mensch gegen Mücke aber kann jede neue Erkenntnis einen Etappensieg bringen. „Und wir sind mit der Forschung noch lange nicht am Ende.“