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Warum ist emotionales Essen gerade so ein Thema?

Sie heißen „Food Feelings“ oder „Dein inneres Kind will satt werden“: Der Ratgeber-Markt zum gefühlten Hunger boomt. Julia Reichenberger wundert das nicht. Corona-Pandemie, ökologische Krisen, Krieg in Europa und anderswo: „Wir leben in einer Zeit mit viel negativer Emotionalität.“ Tatsächlich scheint emotionales Essen während der Corona-Zeit häufiger geworden zu sein, lassen Studien vermuten. Viele Forschende sehen darin einen Grund, weshalb viele Menschen mit Übergewicht zu kämpfen haben.

Wie hängt Essen mit unseren Gefühlen zusammen?

Genau genommen dient Ernährung der Energiezufuhr unseres Körpers. Doch Essen lässt sich nicht von unseren Gefühlen entkoppeln, weiß Psychotherapeutin Dr. Katja Schnicker aus Petersberg. Essen vermittelt ein Gefühl der Belohnung. Danach sucht der Mensch gerade, wenn es ihm nicht so gut geht. „Besonders schlechte Gefühle wie Traurigkeit oder Frust können das Verlangen nach Essen auslösen“, erklärt Dr. Julia Reichenberger, die sich an der Paris-Lodron-Universität in Salzburg mit dem Thema beschäftigt.

Warum muss es der Schokoriegel sein?

Wer frustriert ist oder sich überfordert fühlt, wird kaum zum Gemüsestick greifen. Typisch sind eher Süßigkeiten – „besonders Schokolade“, weiß Forscherin Reichenberger. Das mag daran liegen, dass der Genuss von Schokolade für viele mit schönen Erinnerungen verknüpft ist. Vor allem aber verspricht Süßes schnelle Energie – und danach sucht der Körper etwa bei Stress. „Süßes entspannt“, sagt Katja Schnicker. „Kurzfristig fühlen wir uns besser. Das ist das Tückische.“ Auf lange Sicht kehre sich der Effekt um. Viele quäle dann das Gefühl, sich nicht unter Kontrolle zu haben. „Das schmälert das Selbstwertgefühl.“ Oft stelle sich auch ein schlechtes Gewissen ein.

Betrifft mich das auch?

Gut möglich. In Umfragen gaben bis zu 55 Prozent der Teilnehmenden an, beispielsweise bei Stress mehr zu essen. „Zum Problem wird das aber meist erst, wenn Essen die einzige Strategie ist, um mit schlechten Gefühlen umzugehen“, erklärt Therapeutin Schnicker. Oder wenn das Essverhalten gesundheitliche Folgen wie Übergewicht oder Typ-2-Diabetes hat. Unser Selbsttest liefert erste Hinweise, wie sehr Essen und Emotionen bei Ihnen zusammenspielen.

Selbsttest: Wie stark hängt mein Essverhalten von meinen Gefühlen ab?

Kreuzen Sie an, was auf Sie zutrifft

Wenn ich einsam bin:

  • esse ich mehr
  • esse ich genauso wie sonst
  • esse ich weniger

Wenn ich deprimiert bin:

  • esse ich mehr
  • esse ich genauso wie sonst
  • esse ich weniger

Wenn ich traurig bin:

  • esse ich mehr
  • esse ich genauso wie sonst
  • esse ich weniger

Wenn ich mich langweile:

  • esse ich mehr
  • esse ich genauso wie sonst
  • esse ich weniger

Wenn ich frustriert bin:

  • esse ich mehr
  • esse ich genauso wie sonst
  • esse ich weniger

Je häufiger Sie „esse ich mehr“ angekreuzt haben, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie schlechte Gefühle mit Essen ab- federn. Das muss kein Problem sein. Es wird eines, wenn Essen zur einzigen Strategie wird oder wenn Sie deshalb gesundheitliche Pro- bleme haben. Manche essen bei Stress & Co. auch weniger.

Quelle Selbsttest: Dr. Julia Reichenberger, Paris-Lodron-Universität Salzburg

Was hilft mir auf Dauer?

Bewusst und langsam essen. Den Fernseher ausschalten, das Handy zur Seite legen. So merken Sie auch, wenn Sie satt sind – ein Gefühl, das sich beim emotionalen Essen schon deswegen nicht einstellt, weil man Süßes oder Knabberkram meist schnell hinunterschlingt. Expertin Schnicker rät zudem zu regelmäßigen Mahlzeiten. Gewohnheiten zu ändern braucht Zeit und einen langen Atem. Wenn es nicht gleich klappt: Seien Sie nachsichtig mit sich.

Wie kann ich die Lust aufs Essen austricksen?

„Am besten ist es, Süßes oder Knabberzeug gar nicht erst im Haus zu haben“, sagt Expertin Julia Reichenberger. Oder man deponiert die Objekte der Begierde so, dass sie schwer zugänglich sind – etwa weit oben im Schrank oder in einer verschlossenen Schublade. So gewinnt man Zeit – und erhöht die Chance, dass sich der Impuls zu essen wieder verflüchtigt. Ebenfalls gut: ein Zettel an der (Kühl-)Schranktür mit Erinnerungen an das selbst gesteckte Ziel, zum Beispiel „Ich will weniger Süßigkeiten essen“.

Komme ich da wieder raus?

„Wichtig ist der eigene Wunsch, weniger emotional zu essen“, betont Schnicker. Sie rät zur Selbstbeobachtung. In welchen Lagen überkommt mich die Lust auf Essen? Wie fühle ich mich dabei – und wie danach? War ich allein oder hatte meine schlechte Stimmung mit anderen, etwa Kollegen, zu tun? Nützlich ist ein Notizbuch, das man über einige Tage führt. Auch Apps – zum Teil auf Kasse – können helfen.

Brauche ich professionelle Unterstützung?

„Emotionales Essen ist ein erlernter Vorgang“, sagt Expertin Julia Reichenberger. Man kann es also auch wieder verlernen. Nur: Einfach ist das oft nicht, auch, weil das Verhaltensmuster typischerweise schon lange besteht. Wichtig ist, für belastende Situationen bessere Lösungswege zu finden, als zum Schokoriegel zu greifen. „Der Konflikt mit dem Chef ist damit ja nicht geklärt“, sagt Katja Schnicker. Eine Ernährungsberatung oder eine Psychotherapie können Betroffenen dabei helfen. Ob dies in Ihrem Fall sinnvoll ist, sollten Sie mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt besprechen.

Was stoppt Ess-Impulse?

Gedankliche Vorstellungen können als Notbremse wirken. Sie können sich etwa das plötzliche Verlangen nach Essen als Welle ausmalen: Sie kommt, wird sehr groß – und verebbt wieder. Oder Sie wecken innere Bilder, die die Sinne ansprechen: am Meer salzige Luft einatmen. Durch frisch gemähtes Gras laufen. Unter blühenden Linden gehen. Manchen hilft es, die Fäuste zu ballen – und sich so das Essen zu erschweren.


Quellen:

  • Reichenberger J, Schnepper R, Arend AK et al.: Emotional eating in healthy individuals and patients with an eating disorder: evidence from psychometric, experimental and naturalistic studies. Proceedings of the Nutrition Society : https://www.cambridge.org/... (Abgerufen am 28.05.2024)
  • Burnatowska E, Surma S, Olszanecka-Glinianowicz M: Relationship between Mental Health and Emotional Eating during the COVID-19 Pandemic: A Systematic Review . Nutrients: https://www.mdpi.com/... (Abgerufen am 28.05.2024)
  • Macht M: How emotions affect eating: A five-way model. Appetite: https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 28.05.2024)
  • Psychotherapeutische Beratungsstelle der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Tipps zum Umgang mit Emotional Eating. Online: https://www.pbs.uni-mainz.de/... (Abgerufen am 28.05.2024)