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Auf dem Weg zur Arbeit schießt es einem plötzlich durch den Kopf: Habe ich daheim die Kerze ausgepustet? Das Fenster zugemacht? Dem Hund wirklich das Futter hingestellt – oder nicht?

Unser Gehirn ist meisterhaft darin, Informationen zu filtern. Und das ist auch gut so, denn dadurch schützt es sich vor einer zu großen Menge an Input. Prof. Dr. Siri-Maria Kamp, Juniorprofessorin für Neurokognitive Psychologie an der Universität Trier, sagt: „Immer wenn ich etwas koche, muss ich danach den Herd ausschalten. Das heißt, dass wir in unserem Gedächtnis ganz viele Situationen eingespeichert haben, in denen wir den Herd ausgemacht haben. Diese sind sich alle sehr ähnlich.“

Weil die Situation nicht heraussticht, kann es passieren, dass wir uns nicht mehr konkret an das Ausschalten des Herds heute Mittag erinnern. Die automatisierte Handlung verschwimmt mit all den anderen Malen, wo wir diese durchgeführt haben.

Prof. Dr. Frank Erbguth ist Präsident der Deutschen Hirnstiftung und beschäftigt sich schon lange mit der Wahrnehmung. Er erklärt: „In der Hirnforschung bezeichnen wir das als selektive Wahrnehmung. Unser Gehirn wählt ständig aus, was gerade wichtig erscheint.“ Das heißt, dass wir nur sehen, was uns gerade interessiert. Braucht man zum Beispiel einen neuen Rucksack, fallen einem plötzlich überall Menschen auf, die Rucksäcke tragen. Und hungrig einkaufen etwa ist deshalb keine gute Idee, weil das Keksregal dann besonders verlockend erscheint.

Die Information, dass man heute – so wie jeden Tag – den Schlüssel eingepackt hat, findet unser Gehirn schlicht nicht spannend genug, um sie zu speichern. Routinevorgänge hat das Gehirn automatisiert. Gerade bei Stress kann das zum Problem werden. Denn Stress kann im Alltag tatsächlich vergesslicher machen, allerdings sind die Zusammenhänge komplex. Eine Analyse vieler Studien hat ergeben, dass die Effekte von psychosozialem Stress unterschiedlich sein können. Ob wir uns etwas merken, kann auch davon abhängen, ob die Information direkt mit dem Stressauslöser zusammenhängt.

„Konkret bedeutet das: Wenn wir gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Vorstellungsgespräch sind, kann dies dazu führen, dass wir uns schlechter als sonst einprägen, dass wir die Tür gerade abschließen, den Herd ausstellen oder dass uns unsere Partnerin beim Herausgehen darum bittet, auf dem Rückweg noch eine Packung Milch zu kaufen“, erklärt Kamp. Forscherinnen und Forscher versuchen deshalb, die vielseitigen Faktoren zu finden, die unsere Erinnerung bei Stress bestimmen. Eine Studie der Universität Yale hat ergeben, dass uns kurzzeitiger Stress sogar einen evolutionären Vorteil eingebracht hat: Er kann die Fähigkeit des Gehirns, Erinnerungen zu speichern, steigern, so das Wissenschaftsteam. Neurologe Erbguth schätzt die Ergebnisse der Studie als realistisch ein: „Das Gehirn kann gut mit der Abwechslung von Ruhe und Anspannung umgehen. Dauerstress ist bei uns evolutionär nicht vorgesehen.“

Das Gehirn lässt sich aber austricksen, damit aus einer langweiligen Alltagshandlung ein lustiges Erlebnis wird – das dadurch besser abgespeichert wird. „Wir können uns ein Lied vorsingen oder irgendetwas Besonderes tun oder denken, während wir die Handlung ausführen. So unterscheidet sie sich besser von anderen Erinnerungen in unserem Gedächtnis und kann später leichter abgerufen werden“, sagt Erbguth.

Er empfiehlt, zum Beispiel beim Abschließen dreimal auf die Klinke zu klopfen. Aber Achtung: Wenn die Handlung zur Gewohnheit wird, muss man sich etwas Neues überlegen. Es kann auch ausreichen, eine Handlung bewusst auszuführen. Fest steht: Im Bus zu sitzen und angespannt über die Haustür zu grübeln, kostet Energie. Wenn man schon öfter in dieser Situation war, sollte man sich daran erinnern, wie unbegründet die Zweifel zuletzt waren, und sich mit einer bewussten Atmung oder einer Meditation für unterwegs beruhigen. Das senkt auch das Dauerstresslevel. Siri-Maria Kamp empfiehlt, auf das eigene Empfinden zu vertrauen: „Wenn man aber wirklich befürchtet, dass man eine sehr wichtige Handlung vergessen hat, sodass eine gefährliche Situation entstehen könnte, dann lohnt es sich vielleicht doch, zurückzufahren oder eine Nachbarin zu bitten, mal nachzusehen.“

Vergesslich sind fast alle hin und wieder. Manche reagieren darauf ängstlich und kontrollierend, andere mit Vertrauen. Bedenklich wird das Verhalten erst, wenn Symptome einer Zwangsstörung vorliegen. „Wenn sich die Situationen häufen, in denen man unbegründet seine eigenen Handlungen überprüft, man stark unter den eigenen Zweifeln leidet oder man tatsächlich sehr häufig Dinge vergisst, dann ist es sinnvoll, dies medizinisch oder psychologisch abklären zu lassen“, so Kamp. Menschen aus dem nahen Umfeld spüren oft als Erste, wenn Rituale ungesunde Züge haben oder die Vergesslichkeit zunimmt. Wer sich unsicher ist, sollte mit Ärztin oder Arzt darüber sprechen.