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Noch nie war Einkaufen so einfach. Vor allem im Onlinehandel ist die Auswahl grenzenlos. Was gefällt, landet im Warenkorb und wird in Rekordzeit geliefert. Glaubt man der Werbung, ­lösen Schrankwände voller Schuhe oder der Großeinkauf im Baumarkt Glücksgefühle aus. Es ist ein ewiger Kreislauf, der dazu verleiten soll, ständig neue Dinge zu kaufen. Und das kann zum Problem werden: Manchen Menschen fällt gar nicht auf, dass sie die Kontrolle über ihr Kaufverhalten verlieren. Expertinnen und Experten sprechen dann von Kaufsucht.

Daran erkennt man Kaufsucht

Doch woran erkennen Betroffene, dass sie zu viel kaufen? „Nur, weil man sich mal etwas gönnt, ist man noch lange nicht krank“, beruhigt Dr. Monika Vogelgesang, Chefärztin der Median Klinik Münchwies, einem Zentrum für psychosomatische Erkrankungen und Suchtmedizin. Wenn allerdings regelmäßig Dinge im Warenkorb landen, die unnötig sind und die man sich eigentlich nicht leisten kann, sollte man stutzig werden. Gleiches gilt, wenn sich die Gedanken ständig darum drehen, welche Anschaffung die nächste sein könnte.

Das eigene Konsumverhalten hinterfragen

Emotionen spielen bei der Kaufsucht eine wichtige Rolle. Wer sich etwa dabei ertappt, regelmäßig aus Langeweile oder Frust zu kaufen, sollte sein Verhalten hinterfragen. Auch hier gilt: Wem das nur gelegentlich passiert, der muss sich in der Regel keine Sorgen machen. Dennoch können emotionale Käufe mit der Zeit häufiger werden. „Das geht oft schleichend“, sagt Vogelgesang. Wir haben uns über etwas geärgert, sind traurig oder fühlen uns einsam. Indem wir uns etwas gönnen, fühlen wir uns besser. Die Folge: Beim nächsten Anflug von Traurigkeit oder Ärger erinnern wir uns an das schöne Gefühl und kaufen wieder.

Vielfältige Ursachen

Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass bei Kaufsüchtigen das Belohnungssystem im Gehirn fehlgesteuert ist. Die neu erworbenen Schätze führen ­dazu, dass wir vermehrt Glückshormone ausschütten. Indem wir immer wieder kaufen, gewöhnt sich unser Körper an den ­erhöhten Hormonspiegel. Das hormonelle Gleichgewicht verschiebt sich. Der Drang, Neues zu kaufen, wird größer.

Es gibt vielfältige Gründe, warum manche Menschen eine Kaufsucht entwickeln: Manche haben nie richtig gelernt, mit Geld ­umzugehen oder definieren sich über materielle Dinge. Andere lenken sich durch Shopping ab, belohnen oder trösten sich. Oder aber sie gehen gezielt in exklusive Geschäfte, weil sie die Aufmerksamkeit der Verkäuferinnen und Verkäufer genießen.

Manchmal hängt Kaufsucht auch mit einer Depression oder Angsterkrankung zusammen. Wobei noch nicht ganz klar ist, ob ­Betroffene bereits ängstlich oder depressiv waren und deshalb unkontrolliert shoppen, oder ob die Kaufsucht zu weiteren psychischen Problemen geführt hat. Die Erkrankung ist bislang nicht als eigenständige ­Diagnose anerkannt. Sie zählt zu den Störungen der Impulskontrolle. Expertinnen und Experten diskutieren aber darüber, sie als Verhaltenssucht einzuordnen.

Wenn Kaufen krankhaft wird

Beim Kaufen selbst sind Betroffene anfangs noch davon überzeugt, dass sie die Kleidung oder die neue Technik dringend ­brauchen – obwohl die Schränke schon überquellen. Auch die Freude ist am Anfang noch vorhanden. Die lässt im Lauf der Zeit nach. „Der Kick ist schon noch da, aber irgendwann geht es eher darum, negative Befindlichkeiten zu kompensieren“, sagt Professorin Astrid Müller, Leitende Psychologin an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Das Hoch ist oft schon vorbei, sobald die Ware bezahlt ist. „Wir haben Patienten, die packen zu Hause noch nicht einmal die Tüten aus“, sagt Monika Vogelgesang. Manche nehmen das Preisschild gar nicht erst ab und werfen den neuen Besitz sofort weg.

Was bleibt, ist das schlechte Gewissen und ein Gefühl der Scham. „In der Regel ist es so, dass Betroffene irgendwann anfangen, ihr Kaufverhalten zu beschönigen“, sagt Müller. Sie verstecken die Einkäufe, lügen oder geben vor, dass der Gegenstand gar nicht neu ist. Dabei können die Folgen der Störung gravierend sein. Die Erkrankten verdrängen, dass sie längst über ihre finanziellen Verhältnisse leben. Manche häufen enorme Schulden an oder verwenden Geld, das eigentlich für andere Dinge gedacht war.

Das kann zu Konflikten innerhalb der Familie führen. Nicht zuletzt, weil manche anfangen, auf den Namen ihrer Partnerinnen oder Partner einzukaufen. Das sind oft die Momente, in denen sie einsehen, dass sie ein Problem haben – und sich professionelle Hilfe suchen: Wenn es zur Trennung kommt, die eigenen Kinder den Kontakt abbrechen oder sogar ein ­Gerichtsverfahren eingeleitet wurde, weil die Ware nicht mehr bezahlt werden kann.

Professionelle Hilfe suchen

Wer bemerkt, dass das eigene Kaufverhalten nicht mehr normal ist, kann sich zum Beispiel an eine psychosoziale Beratungsstelle wenden. Auch der Hausarzt oder die Hausärztin kann eine erste Anlaufstelle sein und bei Bedarf an einen Psychologen oder eine Psychologin überweisen. Im Rahmen einer Verhaltenstherapie lernen Betroffene nicht nur, wie sie ihre Kaufsucht kontrollieren können. Sie kommen auch den Ursachen auf die Spur. Eine weitere Möglichkeit ist eine psychosomatische Rehabehandlung, bei der die Patientinnen und Patienten mehrere Wochen in einer Klinik sind, die auf Süchte spezialisiert ist. Im Anschluss an die Behandlung gibt es weitere Treffen. Diese helfen dabei, nach der Therapie den Versuchungen im Alltag zu widerstehen.

Gefahrenquelle Internet

Vor allem das Internet kann eine Herausforderung sein. Nicht nur, weil die Ware im Netz rund um die Uhr verfügbar ist. Auch die Möglichkeit, erst später oder auf Raten zu bezahlen, führt ­dazu, dass viele weit mehr kaufen, als sie sich eigentlich leisten können. Immer mehr Händler bieten diese Zahlungsoptionen an – und die Kundschaft nimmt das Angebot gerne an. Hinzu kommt: „Wer vor Ort einkauft, muss das Haus verlassen, ins Auto steigen und in das Geschäft gehen“, sagt Monika Vogelgesang. Beim Onlineshopping fallen diese Hürden weg.

Die Kontrolle zurückgewinnen

Es gibt Strategien, die dabei helfen können, wieder mehr Kontrolle zu haben. Wer alle Ausgaben in einem Haushaltsbuch notiert, behält den Überblick. Außerdem ist es sinnvoll, bereits am Monatsanfang zu überlegen, wie viel Geld man für bestimmte Dinge ausgeben will. „Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Ampelmodell“, sagt Vogelgesang. Im grünen Bereich stehen die Dinge, die für die Patientin oder den Patienten kein Problem darstellen, zum Beispiel der Einkauf im Supermarkt.

Im roten Bereich ist alles, was regelmäßig zum Kontrollverlust führt. Solche Versuchungen sollten Kaufsüchtige meiden oder mit Vertrauten darüber sprechen, wie sie am besten vorgehen. Der gelbe Bereich beinhaltet Dinge, die möglicherweise einen Impuls auslösen könnten und denen Betroffene deshalb mit Vorsicht begegnen sollten. „Man sollte sich immer auch kritisch fragen, welche Emotionen man durch das Kaufen regulieren will“, sagt Psychologin Astrid Müller. Und sich dann überlegen, wie man stattdessen mit Wut, Angst oder Langeweile umgehen könnte. Damit die Versuchungen der Konsumwelt irgendwann ihren Reiz verlieren.


Quellen:

  • AOK: Exzessives Shoppen: Wenn Konsum zur Sucht wird. Online: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 01.06.2023)
  • Müller A, Trotzke P, Mitchell J et al. : The Pathological Buying Screener: Development and Psychometric Properties of a New Screening Instrument for the Assessment of Pathological Buying Symptoms. PLOS ONE: https://journals.plos.org/... (Abgerufen am 02.06.2023)
  • Verbraucherzentrale : Bezahlen beim Online-Shopping: Vor- und Nachteile von Bezahldiensten . Online: https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 01.06.2023)
  • Herzner S: Sucht: Wenn das Verlangen die Vernunft besiegt. Apotheken Umschau: https://www.apotheken-umschau.de/... (Abgerufen am 05.06.2023)