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Wer das Büro von Professor Adrian Egli an der Universität Zürich betritt, dessen Blick fällt sofort auf das Feuerwerk aus Farben und Formen an der Wand. Dort stapeln sich Kugeln in Pink und Giftgrün, durchkreuzt von einer Lanze, die an eine riesige Gemüseschote erinnert. Wer die Beschreibung daneben liest, erfährt: So schön kann menschlicher Stuhlgang sein. „Diese Vielfalt, einfach überwältigend!“, schwärmt Mikrobiologe Egli.

Dabei war der Spender des Stuhls wohl ziemlich krank. Er kam nach einem Urlaub mit Durchfall ans Schweizer Tropeninstitut. Von dort stammt die Probe. Der Fotograf Martin Oeggerli hat sie unter ein Raster-Elektronenmikroskop gelegt und die Aufnahme koloriert. So wurde aus Kacke Kunst.

Ob Egli solche Bilder im Kopf hat, wenn er mit Stuhlproben arbeitet, wie sie im Keller des Instituts für Medizinische Mikrobiologie lagern? Dort steht der „Microbiota Vault“, der Mikroben-Tresor. Das Projekt, für das inzwischen etwa 2500 Kotproben aus aller Welt gesammelt wurden, sorgt international für Aufmerksamkeit. „Für mich ist menschlicher Kot ein biologisches Material wie jedes andere“, sagt Egli. Mikrobiomforscher wie er haben schon von Berufs wegen ein entspanntes Verhältnis zu dem, was andere umgehend in der Toilette versenken. „Alles Gewohnheit“, sagt Egli mit Schweizer Akzent, der selbst Gesprächen über Exkremente etwas Heiteres gibt. Zumal, wenn man sich vergegenwärtigt, welches Wunderwerk in Kot steckt. Eine Welt, die Egli schon als Schüler faszinierte. „Ich fand das Unsichtbare immer spannend. Dinge, die passieren, die man sich nicht sofort erklären kann“, erzählt er.

Für die menschlichen Augen unsichtbar ist auch eines der komplexesten Ökosysteme, die die Wissenschaft kennt: das Mikrobiom im Darm. Es besteht aus Viren, Pilzen, vor allem aber Hunderten Arten von Bakterien. In nur einem Gramm Stuhl leben rund eine Billion dieser mikroskopisch kleinen Wesen. Das sind etwa 125 Mal so viele, wie es Menschen auf der Erde gibt. „Unvorstellbar, was da an Leben passiert“, sagt Egli begeistert. Die Mikroben wetteifern, betreiben Stoffwechsel, beeinflussen sich gegenseitig – und auch ihren Wirt: den Menschen. Eine Rolle spielen sie nicht nur bei der Verdauung. Ob Diabetes, Darmkrebs, Depressionen, chronische Entzündungen oder Erkrankungen, bei denen das Immunsystem den eigenen Körper attackiert – überall, so zeigen aktuelle Forschungen, sind Mikroben beteiligt. Weltweit arbeiten zahllose Teams daran, zu verstehen, wie das Zusammenspiel von Mensch und Mikrobe funktioniert.

Und die Zeit drängt. Denn das Artensterben wütet nicht nur in Regenwäldern und Korallenriffen. „Es geschieht auch in unserem Darm“, sagt Adrian Egli. Zu schaffen macht den Bakterien dabei vor allem der westliche Lebensstil mit Fast Food, zu wenig Bewegung, Stress – und auch vielen Antibiotika-Behandlungen. Die Folge: Wir verarmen innerlich. „Das weiß man aus Studien, in denen das Mikrobiom indigener Völker untersucht wurde“, berichtet Egli. Ihre innere Artenvielfalt ist noch weitaus reicher. „Stellen Sie sich vor, in einem Wald würde plötzlich die Hälfte der Baumarten fehlen“, sagt Egli und deutet mit der Hand auf die Laubkronen vor seinem Fenster.

Doch was, wenn Keime verloren gehen, deren essenzielle Bedeutung erst klar wird, wenn es zu spät ist? Diese Sorge trieb auch die US-Professorin María Gloria Domínguez-Bello um, eine der führenden Mikrobiomforscherinnen. Von ihr stammt die Idee zu dem Mikroben-Tresor. Er soll helfen, die Vielfalt des Bakterienschatzes in uns zu bewahren. Eine Arche Noah auf Eis sozusagen. Stirbt ein wichtiges Mitglied unseres Darm-Ökosystems aus, könnte es in Zürich erweckt und wieder ausgewildert werden. Ähnlich wie die Pflanzen, deren Samen im „Global Seed Vault“, dem weltweiten Saatgut-Tresor auf Spitzbergen lagern. Bevor die Proben bei fast minus 80 Grad für unbestimmte Zeit lagern, haben die meisten eine weite Reise hinter sich, von Äthiopien, Laos, Puerto Rico.

Die Proben bleiben dabei Eigentum der Forschungseinrichtung, die sie zur Verfügung gestellt hat. Als kostbare natürliche Ressource fallen Darmbakterien nämlich unter das Nagoya-Protokoll, das ärmere Länder vor Biopiraterie schützen soll. Erweist sich etwa eine Mikrobe aus einer afrikanischen Stuhlprobe als höchst wertvoll, kann eine westliche Pharmafirma nicht einfach Geschäfte damit machen.

Zum festen Team des „Microbiota Vault“ gehören außer Adrian Egli noch Assistenzprofessorin Pascale Vonaesch von der Universität Lausanne und Prof. Dr. Nicholas Bokulich von der Universität ETH in Zürich. Gemeinsam haben sie die Pilotphase des Mikroben-Tresors fast abgeschlossen. Jetzt gilt es, den Schatz zu vergrößern – und das nötige Geld dafür aufzutreiben. Schließlich kann man Kotproben nicht mit der Post verschicken, und das nicht nur aus Geruchsgründen. Nötig ist eine geschlossene Kühlkette, die Einfuhrbestimmungen sind streng. Das alles ist extrem mühevoll – und teuer. Doch eine rettende Arche zu bauen war ja schon einmal den Aufwand wert.


Quellen: