Logo der Apotheken Umschau

Die Vorstellung, in guter Erinnerung zu bleiben und auch nach dem Tod einen positiven Einfluss zu haben, kann sehr tröstlich sein. Im Buch „P.S. Ich liebe dich“ hinterlässt ein Mann, der unheilbar krank ist, seiner Ehefrau ein Päckchen mit Briefen. Nach seinem Tod erhält sie jeden Monat einen Brief, in dem er ihr eine Aufgabe stellt. Die Briefe sollen ihr dabei helfen, Schritt für Schritt zurück ins Leben zu finden.

Für die nächste Generation da sein

Das Buch – und auch die Verfilmung – waren sehr erfolgreich. Tatsächlich ist die Handlung nicht weit von den Wünschen vieler Menschen entfernt. „Im mittleren und höheren Lebensalter steigt das Bedürfnis, etwas für die nächste Generation zu hinterlassen“, sagt Prof. Dr. Simon Forstmeier, der an der Universität Siegen unter anderem zur Klinischen Psychologie der Lebensspanne forscht. Es mache das eigene Leben sinnvoller, wenn es nicht mit dem Tod endet, sondern auch danach noch Einfluss hat. „Dafür kann man schon zu Lebzeiten sorgen, zum Beispiel, indem man Angehörigen seine Lebenserfahrung zukommen lässt“, sagt Forstmeier. Erzählt man anderen, was das Leben einen gelehrt hat oder welche Herausforderungen man gemeistert hat, schafft man damit einen Erfahrungsschatz, der für die Hinterbliebenen sehr wertvoll sein kann.

Werte und Wissen vermitteln

Fachleute bezeichnen das Bedürfnis, sich auf diese Weise um die nachfolgenden Generationen zu kümmern, als Generativität. Geprägt wurde der Begriff vom Psychoanalytiker Erik H. Erikson. Von ihm stammt auch das sogenannte Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung. Demnach steigt der Wunsch, etwas Sinnvolles zu hinterlassen, vor allem zwischen dem 40. und 65. Lebensjahr an. Natürlich können auch bestimmte Gegenstände oder Erbstücke dafür sorgen, dass man sich jeden Tag an einen geliebten Menschen erinnert. Aber manchmal sind es eben ganz andere Dinge. Zum Beispiel die Erinnerung an eine gemeinsame Reise. Oder der Gedanke daran, wie sehr einem der Vater, die Großmutter oder eine gute Freundin immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat.

Es sei übrigens ein häufiges Vorurteil, dass man nur dann in Erinnerung bleiben kann, wenn man eine Familie hat, sagt Dr. Thorsten Kolling, der sich, ebenfalls an der Universität Siegen, mit Psychologischer Alternsforschung befasst. Denn jeder und jede hat verschiedene Möglichkeiten, der Nachwelt etwas zu hinterlassen. „Man kann in ganz vielen Bereichen Kompetenzen oder Werte weitergeben“, sagt Kolling. Zum Beispiel, indem man als Lehrerin oder Lehrer arbeitet, Bücher schreibt, Bilder malt, einen Chor leitet oder ein Ehrenamt ausübt. Wer im Fußballverein Kinder trainiert, bringt ihnen nicht nur bei, wie man das Tor trifft. Sondern auch, wie wichtig der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe ist. Oder wie man es schafft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren – selbst, wenn der Weg manchmal steinig ist.

Am Anfang steht immer die Frage, was man weitergeben will. „Indem man sich damit auseinandersetzt, macht man sich sehr stark bewusst, wer man selbst ist“, sagt Kolling. Woher kommen die eigenen Werte und Normen, was hat einen geprägt, welche Aspekte des eigenen Lebens waren schön, welche nicht? „Ich glaube, dass man sich dabei auch selbst sehr stark weiterentwickelt“, sagt der Alternsforscher.

Sein Kollege Simon Forstmeier lässt Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Psychotherapie auf ihr Leben zurückblicken. Die Erinnerung an positive Erlebnisse helfe oft bei der Bewältigung aktueller Probleme. „Und wir blicken auf die negativen Erlebnisse zurück, um sie zu reflektieren und einen Abschluss zu finden“, sagt Forstmeier. Dadurch können sich die Patientinnen und Patienten ein Stück weit mit den weniger schönen Erfahrungen versöhnen.

Schwächen akzeptieren

Das ist wichtig: sich selbst bewusst zu machen, dass auch Negatives zum Leben gehört. „Gerade im höheren Lebensalter neigen Menschen dazu, die positiven Aspekte des Lebens in den Blick zu nehmen“, sagt Forstmeier. Die negativen geraten eher in den Hintergrund. Wobei das nicht heißt, dass sich Ältere nicht auch an negative Dinge erinnern oder negative Emotionen empfinden können. Aber gerade im Alter fokussieren sich viele doch lieber auf schöne Erlebnisse – wodurch der Wunsch zunimmt, auch anderen positiv in Erinnerung zu bleiben.

Allerdings muss niemand perfekt und frei von Fehlern sein, um das zu erreichen. „Das ist ein hehres Ziel, das Menschen da zum Teil an sich selbst stellen“, sagt Thorsten Kolling. Dabei wäre es sinnvoller, Schwächen zu akzeptieren und sie als das zu sehen, was sie sind: menschlich. Das hilft sogar den Nachkommen weiter. Denn das Wissen, dass Fehler und Unzulänglichkeiten zum Leben dazugehören, nimmt den Druck, immer perfekt sein zu müssen.

Dem Psychoanalytiker Erik H. Erikson zufolge setzen sich Menschen im hohen Alter verstärkt mit dem eigenen Leben auseinander. „In dieser Phase geht es oft um die Frage, ob ich mein Leben so akzeptieren kann, wie es ist, oder ob ich das Gefühl habe, Dinge zu bereuen“, sagt Prof. Dr. Judith Glück, Leiterin der Abteilung für Entwicklungspsychologie an der Universität Klagenfurt. Hat man das Gefühl, zwar Fehler gemacht, aber auch aus ihnen gelernt zu haben, könne man besser damit abschließen. Doch manchmal gibt es unaufgearbeitete Konflikte mit anderen Menschen, die einen daran hindern, mit sich ins Reine zu kommen.

Streit zu Lebzeiten klären

Laut Judith Glück kann es hilfreich sein, sich mit dem Konflikt auseinanderzusetzen: Wie ist das eigentlich passiert? Welche Rolle spielt man selbst dabei? Wie könnte die andere Person das sehen und kann man deren Reaktion im Nachhinein vielleicht sogar nachvollziehen? „Wenn man so über Vergangenes nachdenkt, kann das zu einem Prozess des Versöhnens und Verzeihens führen“, sagt Glück. Dann könne es auch eher gelingen, Kontakt aufzunehmen und alte Konflikte aufzulösen. Das sei auch für die Hinterbliebenen sehr hilfreich, denn für sie könne später das Wissen, einen Streit nicht mehr klären zu können, belastend sein. Deshalb kann es sich lohnen, schon vorher über den eigenen Schatten zu springen. Das empfiehlt auch Psychologin Judith Glück: „Es ist schöner, auch für sich selbst, wenn man noch zu Lebzeiten über manche Dinge sprechen kann.“

Götz Springorum, 83, aus Elmshorn

Meine Frau und ich sind Lesepaten in der Grundschule. Einmal pro Woche helfen wir Zweitklässlern, die Probleme beim Lesen haben. Die Kinder sind mit so einer großen Freude dabei, dass wir das im nächsten Schuljahr fortsetzen. Außerdem bin ich Schatzmeister im Kinderschutzbund hier in Elmshorn. Das Amt gebe ich aber im Sommer ab. Wir haben einen jungen Nachfolger gefunden, der noch besser qualifiziert ist und das ist hervorragend. So geben wir nach und nach Aufgaben ab, ohne uns zu grämen. Wir sind guter Dinge, das ist mir wichtig. Einen Luxus leisten wir uns: Meine Frau und ich fahren jeden Tag in den Wald und wandern dort eine Stunde. Den Wald das ganze Jahr über zu erleben, macht einfach glücklich. Wir hatten 17 Jahre lang einen bezaubernden Labrador. Er ist mittlerweile gestorben, aber alle, die im Wald ihre Hunde ausführen, kannten ihn. Wir nehmen auch oft Hunde mit, um die Besitzer zu entlasten. Zum Beispiel Nachbarn, die zum Arzt müssen. Mittlerweile fragen uns auch Leute aus dem Wald, ob wir vielleicht mal ihren Hund hüten könnten. Mich interessiert in erster Linie die Gegenwart. Und weniger das, was später kommt oder was von mir bleibt. Das ist auch unsere Einstellung: Wir versuchen, jetzt etwas um uns herum zu bewirken.

Hans Mahler, 81, aus München

Was von mir später einmal bleibt, kann ich gar nicht beurteilen. Ich denke, das können nur die Menschen beurteilen, die zurückbleiben. Mir war immer wichtig, dass ich meinem Sohn die Werte vorlebe, die mir wichtig sind. Dazu gehören Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und, für mich ganz wichtig, Toleranz. Aber auch, dass man die Dinge, die man macht, gut macht. Ein Kind bekommt das mit, was man ihm vorlebt. Da braucht man dann gar nicht groß darüber reden. Ich bin Klavierbaumeister und meine Frau und ich haben ein eigenes Geschäft. Als mein Sohn noch klein war, haben wir am Wochenende eigentlich immer etwas zusammen unternommen. Es freut mich, dass er sich immer noch gerne daran zurückerinnert. Oder auch an unsere gemeinsamen Urlaube. Es hat mich sehr stolz gemacht, als er irgendwann gesagt hat, dass er ebenfalls Klavierbaumeister werden und eine Ausbildung machen will. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Obwohl es gerade am Anfang sicher nicht immer einfach war, beim eigenen Vater mitzuarbeiten. Aber es hat wunderbar funktioniert. Und es ist natürlich ein schönes Gefühl, dass er unseren Familienbetrieb weiterführen will.

Ullrich Jackus, 74, aus Ottobrunn

Mein Name wird nie im Guinness-Buch der Rekorde stehen, und auch ein Denkmal wird man mir nicht errichten. Im Internet findet man unter meinem Namen nur ein Buch von mir, das jetzt billig verhökert wird und bestimmt bald in Vergessenheit gerät. Ich hoffe, dass ich in unseren zwei lieben Kindern weiterlebe. Familiensinn, Herzensbildung, soziales Denken, solche Werte waren mir immer wichtig, und ich glaube, sie haben auch unseren Nachwuchs geprägt. Seit 30 Jahren treffen wir uns jeden Mittwoch mit einer befreundeten Familie zum Abendessen, und dieses Ritual ist den Kindern heute noch wichtig. Daran werden sie sich sicher erinnern, wenn ich nicht mehr bin. Vielleicht freuen sie sich auch an unseren Fotoschätzen. Seit der Geburt unserer Tochter vor 36 Jahren haben wir jedes Jahr ein Album angelegt – keine CD, sondern etwas zum In-die-Hand-Nehmen.

Hannelore Nachtrab, 83, aus Nürnberg

Schon immer habe ich gerne Geschichten geschrieben, oft Erlebtes aus meinen jungen Jahren nach dem Krieg. Etwa über einen schwarzen US-Soldaten, der meiner Mutter Brot, Käse, Kekse und Schokolade schenkte – worauf sie sich für ihre anfängliche Furcht vor dem Mann schämte. Diese Geschichte erzählt so viel, von Toleranz und Menschenliebe. Ich weiß, dass meine Enkel – es sind ganze 14 – diese Texte gerne lesen werden, ich hüte sie sorgfältig. Ein Enkel macht gerade eine Geschlechtsumwandlung, aus Rosa wird Ben. Ich möchte ihm das Gefühl geben: Ich gehe den Weg mit dir. Auch das will ich mitgeben: dass man Menschen nicht in eine Schublade steckt. „Bei Oma war es immer gemütlich“, so sollen die Kinder mal über mich denken.

Das möchte ich weitergeben

Die Möglichkeiten, anderen Menschen in Erinnerung zu bleiben, sind riesig: Vielleicht unterrichten Sie Kinder oder geben Kurse an der Volkshochschule. Oder Sie arbeiten ehrenamtlich als Trainer in einer Sportgruppe. Es gibt viele Gelegenheiten, anderen Wissen oder Werte zu vermitteln. Oder im Alltag für sie da zu sein.

Ich muss nicht perfekt sein

Vielleicht gibt es Situationen, mit denen Sie immer noch hadern. Oder Sie werden schnell ungeduldig. Keine Sorge, niemand muss perfekt sein, um als wertvoller Mensch in Erinnerung zu bleiben. Falls Sie trotzdem Bedenken haben, könnten Sie das Gespräch mit Ihren Lieben suchen und gemeinsam darüber reden.

Diesen alten Konflikt will ich auflösen

Falls Sie ein Streit sehr belastet, könnten Sie versuchen, einen Brief zu schreiben. Vielleicht erst mal nur für sich selbst, indem Sie einfach all Ihre Gedanken zu Papier bringen. Im zweiten Schritt können Sie überlegen, ob Sie auch der beteiligten Person einen Brief schreiben wollen, um so zu einer Versöhnung beizutragen.


Quellen:

  • Conzen P: Erik H. Erikson, Grundpositionen seines Werkes . Kohlhammer Verlag: https://books.google.de/... (Abgerufen am 08.05.2024)
  • Schlusche S: Was bleibt von uns nach dem Tod?. Ergo: https://blog.ergo.de/... (Abgerufen am 16.04.2024)
  • van der Kaap-Deeder J, Soenens B, Van Petegem S et al. : Live well and die with inner peace: The importance of retrospective need-based experiences, ego integrity and despair for late adults’ death attitudes. In: Archives of Gerontology and Geriatrics 01.04.2020, 91: 1-8