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Man ist auf dem Weg zur Arbeit oder verbringt den Abend bei Bekannten – und plötzlich schießt einem dieser Gedanke durch den Kopf: Habe ich daheim die Kerze ausgepustet? Habe ich die Fenster zugemacht? Und habe ich dem Hund jetzt Futter hingestellt oder nicht? Wir erklären, was hinter dieser Vergesslichkeit steckt und wie man sich in so einem Fall behelfen kann.

Warum erinnern wir uns an manche Dinge nicht mehr?

Unser Gehirn ist meisterhaft darin, Informationen zu filtern. Und das ist auch gut so, denn dadurch schützt es sich vor einer zu großen Menge an Input. Prof. Dr. Siri-Maria Kamp ist Juniorprofessorin für Neurokognitive Psychologie an der Uni Trier. Sie sagt: „Immer wenn ich etwas koche, muss ich danach den Herd ausschalten. Das heißt, dass wir in unserem Gedächtnis ganz viele Situationen eingespeichert haben, in denen wir den Herd ausgemacht haben. Diese sind alle sehr ähnlich zueinander.“

Weil die Situation nicht heraussticht, kann es passieren, dass wir uns nicht mehr konkret an das Ausmachen des Herds heute Mittag erinnern. Die automatisierte Handlung verschwimmt mit all den anderen Malen, in denen wir diese Alltagshandlung bereits durchgeführt haben.

Prof. Dr. Susanne Zank

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Warum sind manche Tätigkeiten für das Gehirn nicht spannend genug?

Prof. Dr. Frank Erbguth ist Präsident der Deutschen Hirnstiftung und beschäftigt sich schon lange mit der Wahrnehmung. „In der Hirnforschung bezeichnen wir das als selektive Wahrnehmung. Unser Gehirn wählt ständig aus, was gerade wichtig erscheint“, sagt Erbguth. Das heißt, dass wir nur sehen, was uns gerade interessiert. Braucht man zum Beispiel einen neuen Rucksack, fallen einem plötzlich überall Menschen auf, die Rucksäcke tragen. Und hungrig einkaufen ist deshalb keine gute Idee, weil das Keksregal dann besonders verlockend erscheint.

Die Information, dass man heute wieder den Schlüssel eingepackt hat, findet unser Gehirn schlicht nicht spannend genug, um sie zu speichern. Und Routinevorgänge hat das Gehirn automatisiert. Gerade bei Stress kann das zum Problem werden.

Wird man vergesslicher, wenn man gestresst ist?

Stress kann im Alltag tatsächlich vergesslicher machen, allerdings sind die Zusammenhänge komplex. Eine Analyse vieler Studien hat ergeben, dass die Effekte von psychosozialem Stress unterschiedlich sein können. Ob wir uns etwas merken, kann davon abhängen, ob die Information direkt mit dem Stressauslöser zusammenhängt.

„Konkret bedeutet dies: Wenn wir gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Vorstellungsgespräch sind, kann dies dazu führen, dass wir uns schlechter als sonst einprägen, dass wir die Tür gerade abschließen, den Herd ausstellen, oder dass uns unsere Partnerin beim Herausgehen darum bittet, auf dem Rückweg noch eine Packung Milch zu kaufen“, erklärt Kamp. Forscherinnen und Forscher versuchen deshalb, die vielseitigen Faktoren zu finden, die unsere Erinnerung bei Stress bestimmen.

Das Gehirn kann gut mit der Abwechslung von Ruhe und Anspannung umgehen. Dauerstress ist bei uns evolutionär nicht vorgesehen

Ruhe und Anspannung sollten im Gleichgewicht sein

Eine Studie der Universität Yale hat ergeben, dass kurzzeitiger Stress uns sogar einen evolutionären Vorteil eingebracht hat: Stress kann die Fähigkeit des Gehirns, Erinnerungen zu speichern, steigern, so die Forschenden. Frank Erbguth schätzt die Ergebnisse der Studie als realistisch ein: „Das Gehirn kann gut mit der Abwechslung von Ruhe und Anspannung umgehen. Dauerstress ist bei uns evolutionär nicht vorgesehen.“

Lässt sich das Gehirn austricksen, sodass es nicht vergißt?

Man kann das Gehirn austricksen, damit aus einer langweiligen Alltagshandlung ein lustiges Erlebnis wird – das dadurch besser abgespeichert wird. „Wir können uns ein Lied vorsingen oder irgendetwas Besonderes tun oder denken, während wir die Handlung ausführen. So unterscheidet sie sich besser von anderen Erinnerungen in unserem Gedächtnis und kann später leichter abgerufen werden“, sagt Erbguth.

Er empfiehlt, zum Beispiel beim Abschließen dreimal auf die Klinke zu klopfen. Aber Achtung: Sobald die Handlung zur Gewohnheit wird, müssen Sie sich etwas Neues überlegen. Es kann auch schon ausreichen, wenn Sie die Handlung bewusst ausführen.

Was hilft, wenn man über etwas Vergessenes grübelt?

Im Bus zu sitzen und über die Haustür zu grübeln, kostet Energie. Wenn man schon öfter in dieser Situation war, könnte man sich daran erinnern, wie unbegründet die Zweifel normalerweise waren und sich mit einer bewussten Atmung oder einer Meditation für unterwegs beruhigen. Das senkt auch das Dauerstress-Level.

Siri-Maria Kamp empfiehlt, auf das eigene Empfinden zu vertrauen: „Wenn man aber wirklich befürchtet, dass man eine sehr wichtige Handlung vergessen hat, sodass eine gefährliche Situation entstehen könnte, dann lohnt es sich vielleicht doch, zurückzufahren oder eine Nachbarin zu bitten, mal nachzusehen.“

Wann sollte man zum Arzt oder zur Ärztin?

Vergesslich sind fast alle hin und wieder. Es ist eine Frage der Persönlichkeit, ob man eher ängstlich und kontrollierend oder mit Vertrauen auf die Unsicherheit reagiert. Bedenklich wird das Verhalten erst, wenn die Symptome einer Zwangsstörung vorliegen.

Kamp erklärt: „Wenn sich die Situationen häufen, in denen man unbegründet seine eigenen Handlungen überprüft, man stark unter den eigenen Zweifeln leidet oder man tatsächlich sehr häufig Dinge vergisst, dann ist es sinnvoll, dies medizinisch oder psychologisch abklären zu lassen.“

Familienmitglieder oder Freundinnen und Freunde spüren oft als erste, wenn die Rituale um die Frage „Habe ich den Herd ausgemacht?“ ungesund werden oder die Vergesslichkeit zugenommen hat. Wer sich unsicher ist, sollte die eigene Vergesslichkeit ärztlich abklären lassen.


Quellen:

  • McManus E, Talmi D, Haroon H et al. : The Effects of Psychosocial Stress on Memory and Cognitive Ability: A Meta-Analysis. Neuroscience & Biobehavioral Reviews: https://www.medrxiv.org/... (Abgerufen am 02.05.2024)
  • Thomas A, Karanian J: Acute stress, memory, and the brain. Brain and Cognition: https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 02.05.2024)
  • Backman I: Stress Amplifies the Brain’s Ability to Encode Memory, New Study Finds. Yale School of Medicine: https://medicine.yale.edu/... (Abgerufen am 02.05.2024)