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Das Vorrunden-Geplänkel ist vorbei – am 29. Juni startet die K.o.-Runde der Fußball-Europameisterschaft der Männer. Was gibt es Spannenderes für einen Fußball-Fan? Jedes Spiel bringt einen Sieger und einen Verlierer hervor, falls nicht in der regulären Spielzeit, dann im Elfmeterschießen – von manchen herbeigesehnt, von anderen gefürchtet.

Wenn man als Fan seine Mannschaft begleitet, mit dem Herzen dabei bist, sich mit ihr freut und mit ihr zittert, dann kann das verdammt intensiv sein. Das ist Fußball, das ist sein Reiz und sein Zauber! Doch beim Mitfiebern kann manchmal auch das Herz belastet werden.

So haben Forscher während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland die Daten von 4279 Patientinnen und Patienten erhoben, die wegen akuter Herzbeschwerden in die Notaufnahme eingeliefert wurden. Während der deutschen Spiele war die Zahl der ärztlich behandelten Herzattacken um das 2,7-fache erhöht gegenüber Vergleichszeiträumen vor und nach der Weltmeisterschaft, wie die im renommierten Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie zeigt. Bei Männern war das Risiko sogar um das 3,3-fache erhöht, bei Frauen um das 1,8-fache.

Stress treibt Blutdruck und Puls nach oben

Zu ähnlichen Befunden für die Herzgesundheit kam eine Studie zur Fußballweltmeisterschaft 2014, die Wissenschaftler des Zentrums für Kardiologie der Unimedizin Mainz und der Abteilung für Sportmedizin der Uniklinik Heidelberg durchführten.

Sie analysierten Daten des Statistischen Bundesamts unter anderem zu stationären Krankenhausaufnahmen wegen Herzinfarkten in Deutschland während der Weltmeisterschaft 2014 und verglichen diese mit Daten des gleichen Zeitraums in den Jahren zuvor und danach. Das Ergebnis, das im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienen ist: Im Vergleich zum Jahr 2013 gab es während der WM 2,1 Prozent mehr Einweisungen, im Vergleich zum Folgejahr 2015 waren es 3,7 Prozent mehr.

Was führt zu Herzattacken beim Fußballgucken?

Warum kommt es überhaupt häufiger zu Herzattacken beim Fußballschauen? „Es dürften vor allem zwei Dinge eine Rolle spielen“, sagt Professor David M. Leistner, Direktor des Herz- und Gefäßzentrums der Uniklinik Frankfurt und einer der Autoren der Studie zur Fußball-WM 2006. Da sei zunächst die körperliche Reaktion. So werden bei einem Fußballspiel vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, wie ein Forscherteam aus Oxford bei der WM 2014 in Brasilien zeigen konnte: Die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel von Brasilien-Fans war während aller Spiele ihrer Mannschaft erhöht. Wenn Brasilien ein Spiel verlor, fand sich aber noch deutlich mehr Cortisol als bei einem Sieg – kein Wunder, dass bei der historischen Niederlage gegen Deutschland mit einem Endstand von 1:7 die Cortisol-Spiegel am höchsten waren.

Der Stress wirkt sich wiederum auf das Herz-Gefäß-System aus: das sogenannte sympathische Nervensystem wird vermehrt aktiviert, es sorgt unter anderem dafür, dass Blutdruck und Puls steigen – die Kampf-oder-Flucht-Reaktion.

„Mindestens ebenso bedeutsam wie die Stressreaktion könnte aber auch die Tatsache sein, dass Menschen mit einer bekannten Herzerkrankung bei Großereignissen eher die Medikamenteneinnahme versäumen. Und wenn der Blutdrucksenker oder das Blutverdünnungsmedikament nicht genommen wird, dann kann natürlich auch das Risiko für einen Herzinfarkt steigen“, sagt Leistner. Der Herzgesundheit ebenfalls nicht zuträglich sind manche Angewohnheiten, die für viele zum Fußballschauen dazu gehören: ein vermehrter Alkoholkonsum ebenso wie fettreiches Essen und salzige Snacks.

Herzbeschwerden? Bitte nicht bis zum Abpfiff warten

Möglicherweise sind also vor allem Menschen gefährdet, die bereits Probleme mit dem Herz haben. „Wer eine koronare Herzerkrankung hat, sollte wachsam sein. Wer hingegen ein gesundes Herz hat, hat im Grunde kein erhöhtes Risiko, beim Fußballschauen Herzprobleme zu bekommen“, sagt Dr. Milan Dinic, niedergelassener Kardiologe in München.

Wir vermuten, dass bei Beschwerden vereinzelt zu lange abgewartet wurde, wie das Spiel ausgeht

Auch war die Rate des Versterbens im Krankenhaus bei Einlieferungen wegen Herzinfarkten laut der Studie zur WM 2014 insgesamt nicht angestiegen – bis auf eine Ausnahme: Beim Finale lag die Todesrate tatsächlich etwas höher. „Wir vermuten, dass bei Beschwerden vereinzelt zu lange abgewartet wurde, wie das Spiel ausgeht. Bei einem Herzinfarkt ist aber Schnelligkeit entscheidend, je zügiger behandelt werden kann, desto besser die Prognose“, sagt Dr. Karsten Keller, Kardiologe in der Universitätsmedizin Mainz. Er betont: „Wenn man starke Schmerzen in der Brust verspürt, dann kann es wirklich auf Minuten ankommen, man sollte schnell handeln und die 112 wählen.“

Public Viewing oder zu Hause Fußball sehen – was ist eher herzbelastend? Dazu gibt es noch keine aussagekräftigen Studien. Aber einige Argumente sprechen dafür, dass Public Viewing eher ungünstig ist im Vergleich zum Fernsehen zu Hause: Man ist beim Public Viewing oft mit vielen anderen Menschen zusammen, meist auf engem Raum, manchmal steht man gar das ganze Spiel über, womöglich in der prallen Sonne, der Geräuschpegel ist lauter – solche Faktoren können den Stress erhöhen.

Fußball sehen hat auch gesunde Seiten

Bei einer koronaren Herzerkrankung kann es möglicherweise sinnvoll sein, eher zu Hause als im Public Viewing das Spiel zu schauen. Ganz auf das Spiel zu verzichten braucht man nicht. Dazu ist nicht nur das Risiko für eine relevante Auswirkung auf das Herz zu gering – das Fußballschauen hat auch wichtige positive Aspekte, betont Kardiologe Keller: „Es ist ein verbindendes Element, wer zu Hause mit Freunden schaut, erlebt ein gestärktes Gemeinschaftsgefühl und festigt soziale Kontakte. Zudem stellt das Fußball schauen für viele Menschen einen Anreiz dar, selber wieder mehr Sport auszuüben, was alles nachweislich gesund ist – auch für das Herz.“. Und auch dies trägt dazu bei, den Fußball-Fernsehabend herzgesund zu gestalten: Leichte Knabbereien wie Rohkoststicks mit Kräuterquark statt Chips und Flips, alkoholfreie Getränke – und in der Halbzeitpause einmal um den Block gehen.


Quellen:

  • Wilbert-Lampen, U, Leistner D, Greven S et al.: Cardiovascular Events during World Cup Soccer. The New England Journal of Medicine: https://www.nejm.org/... (Abgerufen am 26.06.2024)
  • Keller K, Hobohm L, Schmitt VH et al.: Total numbers and in-hospital mortality of patients with myocardial infarction in Germany during the FIFA soccer world cup 2014. Scientific reports: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 26.06.2024)
  • Newson M, Shiramizu V, Buhrmester M et al.: Devoted fans release more cortisol when watching live soccer matches. Stress & Health: https://onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 26.06.2024)
  • Coyte A, Perry R, Papacosta AO et al.: Social relationships and the risk of incident heart failure: results from a prospective population-based study of older men. European Heart Journal Open: https://academic.oup.com/... (Abgerufen am 26.06.2024)
  • Deutsche Herzstiftung: Achten Sie auf Ihr Herz bei der Fußballübertragung. Online: https://herzstiftung.de/... (Abgerufen am 27.06.2024)