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Schwangerschaftsdiabetes, auch Gestationsdiabetes mellitus, kurz GDM, ist die häufigste medizinische Komplikation während einer Schwangerschaft. Allerdings wird diese Stoffwechselstörung häufig erst – im Rahmen der normalen Mutterschaftsvorsorge – zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche entdeckt. Dabei zeigen Untersuchungen, dass Stoffwechselveränderungen oft schon in der frühen Schwangerschaft, also vor der 14. Woche nachweisbar sind.

Nun erscheint eine Serie von drei Studien, die der Frage nachgehen, ob künftig also früher auf Schwangerschaftsdiabetes getestet werden soll. Das internationale Forscherteam, deren Mitglieder unter anderem an der renommierten Harvard Medical School in den USA arbeiten, stützt ihre Ergebnisse zu großen Teilen auf die im vergangenen Jahr erschienene ToBoGDM-Studie.

Wie begründen die Forschenden ihre Forderung nach einer früheren Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes?

„Es ist bekannt, dass etwa 30 bis 70 Prozent der schwangeren Frauen vor der 20. Schwangerschaftswoche einen erhöhten Blutzuckerspiegel aufweisen. Aus mehreren Kohortenstudien wissen wir, dass diese Frauen mehr GDM-Risikofaktoren und ein erhöhtes Risiko für ungünstige Schwangerschaftsfolgen haben, wenn sie unbehandelt bleiben“, sagt Professorin Dr. Jardena Puder, Leiterin der Sprechstunde für Diabetes und Schwangerschaft in der Abteilung Frau-Mutter-Kind am Universitätsspital Lausanne in der Schweiz.

Durch ein früheres Testen hoffen die Forschenden, das Risiko für ungünstige Schwangerschaftsfolgen reduzieren zu können, indem die Betroffenen früher behandelt werden – mit einer Änderung des Lebensstils und einer medikamentösen Therapie.

Wie hoch ist das Risiko, einen Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln?

  • Die Anzahl der Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickeln, steigt in Deutschland seit Jahren an. Risikofaktoren sind zum Beispiel
  • ein früherer Schwangerschaftsdiabetes,
  • ein Alter über 40 Jahre,
  • Verwandte ersten Grades mit Diabetes,
  • frühere Makrosomie (Geburtsgewicht von über 4000 Gramm bei einem zur Regelzeit geborenen Säugling),
  • ein polyzystisches Ovarialsyndrom,
  • eine nicht-europäische Abstammung
  • und – als Hauptrisikofaktor – Übergewicht.

„Allein der Anteil übergewichtiger Schwangerer lag 2022 in Deutschland bei 44 Prozent, davon waren 16 Prozent adipös“, sagt Professorin Ute Schäfer-Graf, Leiterin des Diabeteszentrums für Schwangere in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Joseph Krankenhaus Berlin. Von Adipositas sprechen Fachleute, wenn der Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2 liegt.

Zunehmend mehr junge Frauen haben bereits vor der Schwangerschaft erhöhte Blutzuckerwerte oder einen unentdeckten Diabetes Typ 2 – ohne es zu wissen. Dadurch sind sie sich ihres erhöhten Risikos, Komplikationen zu entwickeln, nicht bewusst.

Welche gesundheitlichen Vorteile kann eine frühe Testung auf Schwangerschaftsdiabetes den Betroffenen bringen?

In der aktuellen Studie, die im Juni 2024 im Fachmagazin The Lancet erschienen ist, wurde untersucht, ob die Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes vor der 20. Schwangerschaftswoche die Gesundheit von Müttern und Kindern verbessern könnte.

Zu den möglichen Komplikationen eines Schwangerschaftsdiabetes gehört zum Beispiel das Auftreten von Bluthochdruck. Auch das Risiko einer Frühgeburt oder Makrosomie, also eines Geburtsgewicht des Kindes über 4000 Gramm, ist erhöht, was zu mehr Geburtsverletzungen und schwierigen Geburten führen kann. Außerdem haben Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes und auch deren Kinder später im Leben ein erhöhtes Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln.

Die neue Studie kam zu dem Ergebnis: Die sofortige Behandlung eines Schwangerschaftsdiabetes führte zu einem geringfügig niedrigeren Auftreten einer Reihe negativer Folgen für das Kind. „Der Nutzen war jedoch auf die Untergruppe mit hohen Blutzuckerwerten begrenzt, während bei Schwangeren mit niedrigeren Werten kein Effekt gesehen wurde“, erklärt die Gynäkologin und Diabetologin Ute Schäfer-Graf das Studienergebnis. „Ohnehin hat die ToBOGM-Studie nur Schwangere mit Risikofaktoren eingeschlossen. Daraus lässt sich keine Empfehlung oder Forderung nach frühem GDM-Testen bei allen Schwangeren ableiten.“

Welche Gruppe von Frauen würde von einem früheren Diabetestest in der Schwangerschaft am meisten profitieren?

Von einem früheren Diabetestest würden vor allem die Risikogruppen, also beispielsweise Frauen nach einer Kinderwunschbehandlung, ethnische Gruppen mit hohem Diabetesrisiko und Übergewichtige profitieren. Gerade die hohe Anzahl von Frauen mit unbemerktem Typ-2-Diabetes könnten so früher detektiert werden. „Die Testung auf GDM vorzuziehen, finde ich daher sinnvoll“, sagt Schäfer-Graf in Bezug auf die Risikogruppen. Die Expertin hat die aktuelle Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe federführend bearbeitet. „Das ist dringend geboten angesichts der steigenden Zahlen von Adipositas bei Frauen im gebärfähigen Alter, dem Hauptrisikofaktor für Diabetes. Das gibt uns die Möglichkeit der frühen Behandlung. Für den Nutzen der frühen Therapie bei diesen Schwangeren ist die Evidenz gut.“ Deshalb wird ein frühschwangerschaftliches Screening bei Risikogruppen schon jetzt in der Leitlinie empfohlen, um keine wertvolle Zeit zu verlieren.

Wie sollte also in Zukunft ein sicheres Screening werdender Mütter in Bezug auf das Diabetesrisiko aussehen?

Ein Testen aller Schwangeren auf Schwangerschaftsdiabetes, beziehungsweise unerkannten Typ-2-Diabetes, wäre laut Dr. Schäfer-Graf zwar wünschenswert, ist aber nicht zwingend notwendig. Für unerlässlich hält sie dagegen ein früheres Testen auf Schwangerschaftsdiabetes, beziehungsweise Typ-2-Diabetes bei allen Schwangeren mit erhöhtem Diabetesrisiko. Allerdings empfiehlt sie ein anderes Testverfahren.

Bei der aktuellen Untersuchung haben die Forschenden den sogenannten oralen Glukosetoleranztest (OGTT) eingesetzt. Die Schwangeren mussten 75 Gramm Glukose in 300 Milliliter Wasser trinken. „Ein OGTT in der Frühschwangerschaft ist für viele Frauen eine hohe Belastung wegen der häufig bestehenden Schwangerschaftsübelkeit“, erklärt Ute Schäfer-Graf. Sie rät eher zu einer Blutuntersuchung. „Es ist sinnvoll im ersten Schwangerschaftsdrittel alle Schwangeren auf Glukosestoffwechselstörungen zu testen mit dem Schwerpunkt `Entdeckung von unerkanntem Typ 2 Diabetes oder Vorstufen`. Dazu ist die Bestimmung des Nüchternblutzuckers oder des HbA1c ausreichend.“

Diese Untersuchungen sind weniger belastend und aufwendig. Eine kontinuierliche Glukosemessung, die den Glukosetoleranztest ersetzt, um Schwangerschaftsdiabetes frühzeitig zu erkennen, hält die Medizinerin nicht für sinnvoll, da diese nicht den etablierten Standards entspricht.


Quellen:

  • Robert Koch-Institut: Prävalenz Gestationsdiabetes. https://diabsurv.rki.de/... (Abgerufen am 20.06.2024)
  • Simmons D, Immanuel J, Hague WM et al.: Treatment of Gestational Diabetes Mellitus Diagnosed Early in Pregnancy. In: NEJM: 05.05.2023, https://doi.org/...
  • Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Leitlinie: 2018. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 20.06.2024)

  • IQTIG – Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen: Bundesauswertung Perinatalmedizin: Geburtshilfe. https://iqtig.org/... (Abgerufen am 21.06.2024)