Logo der Apotheken Umschau

Nur im Herzen, nicht auf dem Arm: Sein ungeborenes oder gerade frisch zur Welt gekommenes Kind zu verlieren, gehört für viele werdende Eltern zu einem der traurigsten Ereignisse ihres Lebens.

Dass kaum jemand von sich aus darüber spricht und selbst medizinisches Personal das Thema Fehlgeburt im Vorfeld oft lieber ausklammert, macht dieses Erlebnis jedoch zum Tabu. Dadurch wird die Trauer noch düsterer: „Das große Schweigen fördert bei vielen Frauen das Gefühl des Versagens, der Schuld, der Scham. Das kann traumatische Spuren hinterlassen“, erklärt Daniela Nuber-Fischer. Sie berät in München Eltern nach Verlust in der Schwangerschaft und rund um die Geburt, gibt Rückbildungskurse für betroffene Frauen, schult Fachpersonal und weiß, dass ein offenerer Umgang mit diesem traurigen Lebensereignis helfen würde.

Zumal eine Fehlgeburt tatsächlich die häufigste Komplikation bei Schwangerschaften ist: Rund 25 Prozent davon enden in den ersten zwölf Wochen vorzeitig. Dazu kommen Kleine und Stille Geburten nach dem ersten Trimester, für die das Risiko bei ein bis vier Prozent liegt.

Warum ist die Fehlgeburt ein Tabuthema?

Etwa jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben mindestens einmal eine Fehlgeburt. Warum trauen sich dann trotzdem viele nicht, offen davon zu erzählen? „Man sieht das unter anderem an den Formulierungen“, sagt die Expertin. „Häufig wird eine Fehlgeburt als Abort bezeichnet. Das kommt aus dem Lateinischen und wird heute synonym für den Begriff Klo verwendet. Das ist nicht nur unwürdig, sondern bedeutet übertragen auch: Eine Frau hat das mit sich selbst im privaten, gekachelten Kämmerchen auszumachen“, sagt Nuber-Fischer.

Zum Fortbestand des Schweigens trage auch der Rat bei, in den ersten drei Monaten so wenigen Menschen wie möglich von der Schwangerschaft zu erzählen: „Diese sogenannte Zwölf-Wochen-Regel impliziert: Wenn es schief geht, sprechen wir nicht darüber.“ Wir tun es! Damit die werdenden Eltern nach einem womöglich erschütternden Befund wissen, was auf sie zukommt, was ihnen zusteht und wo sie Unterstützung finden, um möglichst gut durch diese schwierige Zeit kommen.

Früher Verlust: Die Hebamme kann unterstützen

Gesetzlich Versicherte haben bis zu acht Wochen nach der Kleinen oder Stillen Geburt einen Anspruch auf Betreuung durch eine Hebamme. Sie kann die Frauen vorher, währenddessen und danach unterstützen. Hat eine Frau noch keine Hebamme gefunden, kann sie den anderen Elternteil, ein Familienmitglied oder eine gute Freundin bitten, bei der Suche zu unterstützen. Bisher nur in München gibt es mit HebaVaria einen Verein, der explizit und kostenlos hilft, eine Hebamme bei Fehl- und Stiller Geburt zu finden.

Treffender über Fehlgeburt sprechen

Der Begriff Fehlgeburt bezeichnet regulär das ungewollte Ende einer Schwangerschaft bis zur zwölften Woche. Mit einem Spätabort oder einer späten Fehlgeburt wird medizinisch ein Schwangerschaftsverlust zwischen der zwölften und 24. Schwangerschaftswoche bezeichnet. Von Totgeburt spricht man dann, wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt und damit zum Zeitpunkt der Rechtssprechung potentiell lebensfähig gewesen wäre. Da jedoch heute auch extreme Frühchen mit rund 300 Gramm überleben können, entspricht diese Aufteilung eigentlich nicht mehr der Realität.

Für viele Betroffene sind ohnehin zwei neuere Ausdrücke treffender und würdevoller: die frühe Kleine Geburt beim Ende der Schwangerschaft im ersten Trimenon – sowie die späte Kleine oder die Stille Geburt, wenn das Kind nach der zwölften Woche geboren wird. Als fest verbundene Begriffe werden sie oft groß geschrieben und richten den Fokus auf den Prozess: „Es geht immer um ein menschliches Wesen, das aus einem Uterus herauskommt. Auch bei einer Kürettage in der zehnten Woche“, erklärt Daniela Nuber-Fischer.

Was passiert bei einer Kleinen Geburt?

Manchmal endet eine Schwangerschaft früh und ungewollt mit einer starken Blutung zu Hause. Eventuell wird danach eine ambulante Ausschabung (Kürettage, Curettage) notwendig, um verbliebenes Schwangerschaftsmaterial zu entfernen. Geht die Schwangerschaft im ersten Trimester zuende, haben Frauen drei Möglichkeiten:

Bei der operativen Vorgehensweise wird in der Klinik eine Kürettage vorgenommen. Ob man das Kind danach sehen kann, hängt vom Stadium der Schwangerschaft und von der Klinik ab. Deshalb bei einem Wunsch danach vor der OP fragen, was möglich ist.

Je nach Schwangerschaftsstadium können Frauen die Kleine Geburt aber auch innerhalb weniger Stunden zu Hause mit Medikamenten einleiten – oder abwarten, bis der Körper das verstorbene Kind von selbst loslässt. „Das kann zwar Tage oder auch Wochen dauern. Doch dadurch erleben die Frauen die Kleine Geburt oft selbstbestimmter, langsamer und natürlicher, was vielen beim Verarbeiten des Verlusts hilft“, sagt die Expertin. „Will man das Kind dabei auffangen, legt man am besten ein Nudelsieb auf den Toilettensitz. Alternativ kann man auch in die leere Badewanne gehen.“ Durch die Wassermethode behält es anschließend seine Rosigkeit. Dafür lässt man das Kind in ein ausreichend großes Gefäß voll Leitungswasser gleiten. „Die Hebamme kann dann helfen, das Baby vom umliegenden Gewebe zu befreien“, sagt Nuber-Fischer. Das Wasser kann immer wieder gewechselt werden, außerdem meist das Kind zum Streicheln und für Fotos herausgenommen werden.

Das ist eine Stille Geburt

Spätestens ab SSW 14+0 wird meist medikamentös eine vaginale Geburt eingeleitet, die in der Klinik oder mit der Hebamme zu Hause stattfinden kann. „Es klingt erst mal absurd, doch wenn Frauen dabei gut begleitet und betreut sind, kann es trotz aller Traurigkeit ein heilsames, friedliches Erlebnis sein“, sagt Nuber-Fischer. Am besten überlegt man deshalb zusammen mit der Hebamme, welcher Ablauf und welches Setting diese schwierige Situation erleichtern könnte.

Kleidung für das Sternenkind?

Schon für kleinste Sternenkinder gibt es zum Beispiel Einschlagtücher oder Filznestchen. Das nimmt vielen Eltern die Scheu vor ihrem zerbrechlich wirkenden Kind. Ehrenamtliche bereiten auch Notfallkisten mit Kleidung und Erinnerungen vor, die man etwa bei Hope’s Angel oder Stilles Wunder kostenlos beziehungsweise für eine geringe Aufwandsentschädigung bestellen kann. Oft bieten Kliniken ebenfalls entsprechende Kleidung oder Nestchen an. Am besten danach fragen.

Wie organisiere ich eine Sternenkind-Fotografie?

Fotos der vergänglichen Augenblicke miteinander sind oft das einzige, was von der kurzen Existenz des Kindes zeugt – und bleiben kann. Sie können deshalb bei der Verarbeitung sehr hilfreich sein. Für diese ersten und letzten Bilder des Kindes kommen Fotografinnen und Fotografen kostenlos nach Hause oder in die Klinik. Auf dein-sternenkind.eu sind rund 600 Ehrenamtliche bundesweit zu erreichen.

Müde Frau

Eine Fehlgeburt verarbeiten

In den ersten drei Monaten der Schwangerschaft erleben Frauen häufig eine verhaltene Fehlgeburt. Warum in dieser Situation nicht immer eine Operation nötig ist zum Artikel

Können Eltern ihr Baby obduzieren lassen?

Wollen Eltern wissen, weshalb ihr Sternenkind gestorben ist, kann das Baby und/oder die Plazenta untersucht werden. „Eventuell lässt sich dadurch ein Grund finden, oft aber nicht“, sagt die Expertin. Endet die dritte Schwangerschaft hintereinander ungewollt, rät medizinisches Personal oft zu einem Gentest. „Eltern haben aber ein Recht auf Nichtwissen. Sie müssen also nicht immer pauschal alles machen, was möglich ist oder empfohlen wird. Besser ist abzuwägen: Was wollen wir wissen? Warum ist uns das wichtig? – und erst mit den Antworten darauf eine Entscheidung zu treffen“, sagt Nuber-Fischer.

Mutterschutz und Krankschreibung nach einer Fehlgeburt?

Betroffenen im Angstelltenverhältnis steht nach einer Fehlgeburt derzeit erst ab SSW 23+0 Mutterschutz zu, oder wenn das Kind bei der Geburt mehr als 500 Gramm wiegt. Wird das Kind früher lebend geboren und verstirbt kurz darauf, erhalten sie ebenfalls Mutterschutz. Bekommt eine Frau vor der 24. Schwangerschaftswoche die Diagnose, dass das Herz ihres Kindes nicht mehr schlägt, hat sie derzeit nur die Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen.

Möglicherweise ändert sich das jedoch bald – auch durch die Initiative der PR-Beraterin, Autorin und Aktivistin Natascha Sagorski, die festgestellt hat: Viele Betroffene bekommen eine Krankschreibung nicht automatisch, sondern müssten aktiv nachfragen. Häufig sei sie auch zu kurz oder müsse, wenn der Gynäkologe oder die Gynäkologin keine Notwendigkeit dafür sehe, in einer anderen Praxis eingeholt werden, heißt es auf ihrer Internetseite. Deshalb setzte sie sich unter anderem vor dem Familienausschuss des Bundestags für einen freiwilligen, gestaffelten und damit fairen Mutterschutz nach Fehlgeburten ein. Er würde Schutz und Zeit zur Verarbeitung gewähren – und sei „in greifbare Nähe gerückt“.

Bekommen Eltern eine Geburtsurkunde oder Existenzbescheinigung?

Eine Geburtsurkunde für ihr Kind bekommen Eltern nur, wenn die 24. Schwangerschaftswoche erreicht wurde, das Kind bei der Geburt mehr als 500 Gramm gewogen hat oder bei der Geburt noch gelebt hat. „In allen anderen Fällen haben Eltern seit 2013 die Möglichkeit, eine Art kleine Geburtsurkunde zu beantragen“, sagt Daniela Nuber-Fischer. Diese „Existenzbescheinigung“ sieht wie eine Geburtsurkunde aus, in die Mutter und Vater das Geburtsdatum, wenn bekannt das Geschlecht sowie den Namen oder Kosenamen des verstorbenen Kindes eintragen können. „Für manche Eltern ist es sehr wertvoll, eine solche Existenzbescheinigung für das Familienstammbuch zu haben.“

Das Schriftstück kann auch rückwirkend beantragt werden, egal wann das Sternenkind geboren wurde. Zuständig ist das Standesamt des Geburtsortes. Dort legt man ein Dokument wie Mutterpass oder ärztlichen Brief vor, das die Kleine beziehungsweise Stille Geburt nachweist.

Dürfen Eltern das Kind bestatten lassen?

Haben Eltern ein Recht auf eine Geburtsurkunde, müssen sie ihr Kind bestatten. Alle anderen Sternenkinder können, müssen aber nicht von den Eltern beerdigt werden. Melden sie bei einer Kürettage oder Kleinen Geburt in der Klinik keinen Wunsch danach an, werden diese Sternenkinder dennoch zur Ruhe gebettet – gemeinsam mit anderen verstorbenen Kindern in einem Gemeinschaftsgrab. Die Zeremonie findet meist zwei Mal im Jahr statt, für die Eltern entstehen dadurch in der Regel keine Kosten. „Am besten fragen Eltern in der Seelsorgeabteilung ihrer Klinik nach, ob und wo ihr Kind beerdigt wird“, rät die Expertin.

Erst eine Gesetzesänderung machte das übrigens 2013 möglich. Zuvor wurden die Kinder im Kliniksondermüll entsorgt. Fühlt sich das Gemeinschaftsgrab nicht stimmig an, kann das Kind durch ein eigenes Bestattungsunternehmen individuell bestattet werden, etwa in einem Einzel-, einem Familien- oder einem Waldgrab. Da das Bestattungsrecht Ländersache ist, gibt es an manchen Wohnorten Unterschiede. Eine Übersicht hat die Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas. 

Was kann Eltern helfen, den Verlust zu verarbeiten?

Oft braucht es Zeit, um sich von der bisherigen Vorstellung eines Lebens mit diesem Kind zu verabschieden und die neue Realität ohne Baby zu akzeptieren. Dabei ist es egal, ob die Schwangerschaft in der sechsten oder der 38. Wochen unverhofft zu Ende ging: „Jede Trauer hat ihre Berechtigung, sobald sie empfunden wird. Schmerz kennt kein Vergleich – und Gefühle haben immer recht“, sagt Nuber-Fischer.

Um mit diesen verschiedenen, unangenehmen Gefühlen besser klarzukommen, sei das Wichtigste, sich etwas Gutes zu tun. „Umgeben Sie sich mit Menschen, die hilfreich sind. Tun Sie Dinge, durch die Sie irgendwie auftanken können. Vielleicht viel im Wald spazieren gehen, Tagebuch schreiben, Gitarre spielen, ein Ritual für die Trauer finden, sich einer Selbsthilfegruppe anschließen“, sagt die Expertin. Das sei wie eine Art Therapie. „Lassen Sie sich dafür ohne schlechtes Gewissen auch länger als zwei Wochen krankschreiben.“

Wird die Trauer für längere Zeit zu lebenseinschränkend: etwa über Beratungsstellen – siehe unten – oder die hausärztliche Praxis professionelle Hilfe suchen. Denn eine Fehlgeburt zu erleben, kann bei Frauen zu Angststörungen, depressiver Symptomatik und posttraumatischem Belastungssyndrom führen.

Auch für den anderen Elternteil kann die Situation schwierig sein: Er sorgt und kümmert sich zusammen mit dem engen Umfeld um seine Partnerin – ist aber womöglich selbst traurig, ohne es klar ausdrücken zu wollen oder zu können. „Bleiben Sie deshalb auch als Paar in Kontakt oder gehen sie gemeinsam in eine Sprechstunde für betroffene Eltern“, rät Nuber-Fischer.

Mit Angst in eine neue Schwangerschaft?

Medizinisch spricht oft nichts dagegen, nach einer körperlichen Erholung von ein, zwei Zyklen die Kinderplanung wieder aufzunehmen. Am besten bespricht man sich dazu mit der Hebamme, der Frauenärztin oder dem Frauenarzt. „Es ist jedoch individuell sehr verschieden, wann auch mental der richtige Zeitpunkt für eine Folgeschwangerschaft gekommen ist. Eltern müssen dafür selbst in sich hinein spüren“, sagt die Expertin.

Vielleicht hilft eine erneute Schwangerschaft dann, die Trauer um einen unerfüllten Kinderwunsch zu lindern. Unabhängig davon, bleibt oft auch die Trauer um das verlorene Kind noch eine Weile präsent. Dazu kommt bei vielen Frauen die Angst, dass es wieder schief gehen könnte. „Diese Angst schwingt womöglich immer mit, sie lässt sich nicht verjagen“, sagt Nuber-Fischer.

Vielen Frauen helfe es aber, sich ganz konkret mit ihr auseinanderzusetzen: „Was genau sagt die Angst, was wäre, wenn dieser worst case eintritt?“ Danach solle man sich aber unbedingt zurück ins Hier und Jetzt bringen: „In diesem Moment aber ist alles gut, die Bedrohung existiert nur im Kopf.“ Auch anzuerkennen, dass es nicht in der eigenen Macht liegt, kann erleichternd wirken: „Ich habe es nicht in der Hand. Das muss und darf ich aushalten. Es kommt, wie es kommt.“

Anlaufstellen und Plattformen

  • Alle Schwangerschaftsberatungsstellen wie profamilia oder Donum Vitae unterstützen auch bei ungewolltem Schwangerschaftsverlust. Hier gibt es Adressen.
  • Die Foundation Hopes Angels bietet kostenlose Telefonberatung. Außerdem gibt es ein nach Postleitzahlen gegliedertes Netzwerk an Anlaufstellen, Selbsthilfegruppen, Trauerbegleitenden, Bestattungsunternehmen etc.
  • Die Initiative Regenbogen ist ein Kreis verwaister Eltern mit vielen Informationen und dem Angebot zum Erfahrungsaustausch.
  • Die Plattform Sternenkindfamilie bündelt allgemeine Informationen zu Akut-Situationen sowie rechtlichen Fragen und bietet Kurse in und um München an.
  • Die Online-Plattform und App MentalStark richtet sich vor allem an Frauen mit Kinderwunsch und Fehlgeburt und bietet individuelle Onlineberatung durch psychologisches Fachpersonal an.
  • In vielen Orten gibt es Sterneneltern-Selbsthilfegruppen, die von lokalen Vereinen oder verwaisten Eltern organisiert werden, zu finden über die Online-Suche.