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Egal ob ein sanftes Streicheln über den Arm, eine feste Umarmung oder eine gezielte Massage der Kopfhaut: Dass Berührungen unsere Gesundheit positiv beeinflussen, könne man mittlerweile sicher sagen, erklärt Dr. Julian Packheiser, Psychologe von der Universität Bochum – er und sein Team haben die besten Studien zum Thema analysiert.

Prof. Dr. Claudia Winkelmann, Physiotherapeutin und Gesundheitswissenschaftlerin an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin, forscht ebenfalls zum Thema und weiß, wie sich Berührungen auf Körper und Psyche auswirken.

Für sie ist schon lange klar: „Wir sind eine unterkuschelte Gesellschaft. Es gibt aus gesundheitlicher Sicht gute Gründe, dies zu ändern.“

Welche nachweislich positiven Effekte haben Berührungen?

Schmerz, Depression und Angst: Das sind die Symptome und Erkrankungen, die sich durch Berührung am besten beeinflussen lassen, besonders dann, wenn sie dauerhaft auftreten. „Berührung kann auch dabei helfen, ganz akut den Puls oder den Blutdruck zu senken, aber die Effekte sind kleiner“, sagt Packheiser.

„Berührungen fördern außerdem Entspannung und die Immunabwehr“, ergänzt Winkelmann. Speziell in der Krebsbehandlung reduzierten medizinische Massagen bestimmte Nebenwirkungen einer Chemo- oder Strahlentherapie.

Stellt sich die Wirkung bei jedem Menschen ein?

„Die positive Wirkung mag nicht für jeden gelten“, sagt Packheiser. Aber statistisch gesehen fördere Berührung die Gesundheit bei den meisten Menschen.

„Der gesundheitliche Effekt stellt sich aber nur ein, wenn eine Berührung als angenehm empfunden wird – wenn wir sie wirklich haben möchten“, betont Winkelmann. Denn die Haut gehöre zur absoluten Schutz- und Intimzone des Menschen, an die wir nicht jeden ranlassen.

Eine ausgedehnte Massage kann die Wirkung scheinbar schlichter Berührungen nicht toppen

Spielt es eine Rolle, wer einen berührt?

Überraschenderweise nein: „Gegenseitiges Einvernehmen vorausgesetzt, scheint es für die gesundheitlichen Effekte nicht wirklich relevant zu sein, ob ich die Person gut kenne oder nicht“, erklärt Packheiser. Obwohl es Studienergebnisse gibt, die zeigten, dass Berührungen von gänzlich Unbekannten als tendenziell unangenehmer wahrgenommen werden als von bekannten Personen.

„Wenn ich mir aber eine professionelle Massage hole, dann ist das genauso gut, als wenn das mein Partner oder meine Partnerin macht“, sagt Packheiser weiter. Wahrscheinlicher Grund: Die gekonnten Berührungen des Masseurs oder der Masseurin gleichen die Emotionalität der partnerschaftlichen Massage ein Stück weit aus.

Bringt es was, sich selbst zu berühren?

„Studien zeigen, dass wir uns in stressigen Situationen, zum Beispiel bei Prüfungen, bewusst ins Gesicht fassen und dies Blutdruck und Stress reduzieren kann“, sagt Winkelmann.

Abgesehen davon berühren sich Menschen im Schnitt ohnehin 800 Mal täglich, um sich zu beruhigen. Trotzdem gilt: Streichelt man sich selbst, scheint dies weniger große Effekte zu haben als Berührungen von anderen Menschen.

Welchen Einfluss haben Geschlecht und Alter?

„Frauen scheinen stärker zu profitieren, wenn es um die stressreduzierende Wirkung von Berührungen geht“, sagt Packheiser. Ansonsten gibt es nach allen Erkenntnissen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Winkelmann zufolge zeigen Forschungsergebnisse, dass eine kurze Umarmung vor einer stressigen Situation den Pegel des Stresshormons Cortisol senkt – allerdings vornehmlich bei Frauen und weniger bei Männern.

„Bei Älteren sind die blutdrucksenkenden Effekte der Berührung stärker ausgeprägt als bei Jüngeren“, ergänzt Packheiser. Was aber daran liegen könne, dass Bluthochdruck bei Älteren in der Regel stärker ausgeprägt ist.

Was wirkt besser – Massagen oder alltägliches Kuscheln?

„Da waren wir bei unserer Studie sehr überrascht, weil wir dachten, dass sich durch Massagen die stärksten gesundheitlichen Effekte einstellen müssten“, sagt Packheiser.

„Aber: Eine ausgedehnte Massage kann die Wirkung scheinbar schlichter Berührungen nicht toppen. Die Hand halten, streicheln, umarmen – das alles erzielt, in steter Wiederholung, genauso starke Effekte“. Und das ist laut Packheiser eine der wichtigsten Botschaften, weil solche einfachen Berührungen im Alltag viel besser umsetzbar seien und man sich nicht unbedingt eine kostspielige Massage gönnen müsse.

Gibt es ein Mindestmaß an Berührungen, um einen Effekt zu erzielen?

Das lässt sich nicht sagen. „Zu unterschiedlich ist das individuelle und kulturell beeinflusste Bedürfnis der Menschen nach Berührung“, erklärt Packheiser. Dennoch: „Täglich fünf Minuten bringt mehr als einmal in vier Wochen eine halbe Stunde oder eine Stunde.“

Das ist ein robustes Ergebnis aus der Forschung. Und eine erfreuliche Erkenntnis zugleich, die motivieren dürfte, dem Partner, der Partnerin, seinem Kind oder den besten Freunden regelmäßig eine Berührung zu schenken.

Vermitteln bestimmte Körperpartien besonders starke Effekte?

„Wir haben herausgefunden, dass Berührungen am Kopf die besten gesundheitlichen Effekte haben“, sagt Packheiser. Zumindest seien letztere viel stärker als bei Berührungen an Beinen und Füßen.

„Kopf und Nacken sind die Regionen, an denen wir sehr sensitiv sind“, erklärt Packheiser weiter. Am oberen Rücken sind die C-taktilen Fasern unter der Haut am dichtesten. Das sind Nervenfasern, die Berührungen besonders intensiv vermitteln. Der obere Rücken sei deshalb die Körperregion, die wir bei Umarmungen, zur Begrüßung oder beim Trostspenden intuitiv berühren.

Sind nicht menschliche Berührungen ähnlich wirksam?

Wer schon einmal beim Friseur oder der Friseurin zum Haarewaschen auf einem Massagesessel gesessen hat, ahnt die Antwort: ja. „Maschinell ausgelöste Berührungen sind in ihrem Potenzial nicht zu unterschätzen“, sagt Winkelmann.

Das hat die Industrie auch schon gemerkt. Was es inzwischen nicht alles gibt: Umarmungskissen, Gewichtsdecken, Badelatschen mit Massagezonen, Hemden mit integrierten Berührungskügelchen, Streichel-Roboter und so weiter.

„Allerdings wirken nach der bisherigen, noch begrenzten Datenlage menschliche Berührungen stärker auf die Gesundheit als maschinell ausgelöste Berührungen“, erklärt Winkelmann. Zumindest, wenn es um die mentale Gesundheit gehe.

Kurzum: Einstweilen sind Berührungen von Maschinen eine Ergänzung, gerade für Menschen, die allein leben und niemanden in der direkten Umgebung haben, mit dem sie Streicheleinheiten austauschen können. Winkelmann zufolge sind dann solche Objektberührungen tatsächlich eine ausgezeichnete Idee, um das Wohlbefinden zu verbessern.


Quellen:

  • Packheiser J, Hartmann H, Fredriksen K et al.: A systematic review and multivariate meta-analysis of the physical and mental health benefits of touch interventions. In: Nat Hum Behav: 08.04.2024, https://doi.org/...