Logo der Apotheken Umschau

Aufregend und neu: Das waren Videokonferenzen für uns zu Hochzeiten der Corona-Pandemie. Wir haben uns Gedanken über die richtigen Hintergründe gemacht, es gab Videos mit Schmink- und Outfittipps und Memes über Menschen, die mit gebügeltem Hemd und Unterhose vor ihrem Laptop saßen. Heute sind Videokonferenzen zum Alltag geworden. Sie sind weiterhin praktisch – aber oft auch einfach nur anstrengend.

Warum uns Videocalls erschöpfen

Videokonferenzen können uns müde machen – und das liegt nicht nur an der mit ihnen verbundenen Arbeit. Tatsächlich gibt es für das relativ neue Phänomen einige Studien und einen Namen: Die „Zoom-Fatigue“ oder „Videokonferenz-Erschöpfung“.

Einer, der sich ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt, ist Prof. Dr. Christian Montag. Der Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm hat bereits 2022 mit Kolleginnen und Kollegen eine Studie zur Videokonferenz-Müdigkeit sowie 2023 das Buch „Zwischen Bildschirmen und Bäumen“ veröffentlicht. Auf Basis von Fragebögen gingen die Forschenden unter anderem der Frage nach, welche Menschen besonders von Videokonferenz-Müdigkeit betroffen sind. „Laut unserer und anderen Studien sind es etwa Menschen, die neu im Unternehmen sind. Diese Personen denken oft, dass sie auf dem Präsentierteller sitzen und spüren Druck, möglichst kompetent und aufmerksam zu wirken.“

Außerdem seien Frauen im Durchschnitt etwas mehr von Videokonferenz-Müdigkeit betroffen als Männer. Das zeigte auch eine Studie von 2021 mit über 10.000 Teilnehmenden.

Führen Videocalls zu Burnout?

Erschöpft wegen Videocalls? Forschende um Christian Montag fragten, wie die Videokonferenz-Müdigkeit mit arbeitsbezogenen Erschöpfungszuständen zusammenhängt. „Auch hier haben wir Überlappungen gesehen – da stellt sich aber die Frage, was zuerst da war. War erst der Burnout da und macht Videocalls besonders anstrengend oder führt die Videokonferenz-Müdigkeit zum Burnout? Das können wir mit unserer Studie nicht beantworten, aber ich glaube, dass beides zutreffen kann“, vermutet Montag.

Distanz in Videocalls hat Vorteile und Nachteile

Fest steht: Zu viele Videokonferenzen erschöpfen uns. Doch warum ist das so? „Videokonferenzen haben Vor- und Nachteile“, sagt Psychologe Montag. „An sich ist es gut, die Person zu sehen. So haben wir mehr nonverbale Hinweisreize als am Telefon. Das erleichtert das Verständnis, ist aber auch anstrengend via Bildschirmkommunikation.“

Auch das Layout der Videokonferenz ist laut Montag ermüdend. „Ich vergleiche das gerne mit einem Aufzug: Wir nehmen dort automatisch die größtmögliche Distanz zueinander ein und schauen auf den Boden oder die Tür. Diese Distanz sichert unseren persönlichen Schutzbereich. Im Videocall dagegen hat man das Gefühl, den Teilnehmenden sehr nah zu sein – manche Leute kleben so nah am Bildschirm, dass sie einem auf dem virtuellen Schoß sitzen. Auch das ist anstrengend, zu verarbeiten.“

Videokonferenzen schaffen sowohl Nähe als auch Distanz: Man sieht sich, begegnet sich aber trotzdem weniger persönlich.

Videokonferenzen schaffen sowohl Nähe als auch Distanz: Man sieht sich, begegnet sich aber trotzdem weniger persönlich.

Emotionale Arbeit und imaginäres Publikum

Videocalls erfordern eine hohe emotionale Arbeit: „Wir sind auf kleine Kacheln beschränkt, oft sind Internetverbindung, Ton und Bild nicht optimal. Deshalb geben wir uns Mühe, möglichst deutlich zu sprechen oder zu gestikulieren. Auch das ist anstrengender, als wenn man gemeinsam in einem Raum sitzen würde.“

Hinzu kommt ein Phänomen, das im Englischen „hyper gaze“ genannt wird. Gemeint ist damit folgendes: In einem normalen Meeting lassen wir den Blick durch den Raum wandern, schauen mal aus dem Fenster oder auf den Tisch. Bei einer Videokonferenz hat man auch beim Zuhören das Gefühl, alle Augen auf sich zu haben. Ein Gefühl, das Stress auslöst und dafür sorgt, dass unsere Gedanken permanent darum kreisen, wie wir selbst auf andere wirken. Der Cyberpsychologe Andrew Franklin hat dieses Phänomen mit dem Begriff „imaginäres Publikum“ betitelt – denn eigentlich wissen wir natürlich, dass wir in einem Videocall gar nicht von allen angeschaut werden.

Das passiert, wenn wir uns in der Videokonferenz selbst betrachten

Ein weiteres Problem: Wir sehen uns ständig selbst. Wie künstlich die Situation der Videokonferenz ist, wird bei einem Gedankenspiel deutlich: Wie wäre es, wenn wir den ganzen Tag in einen Spiegel schauen würden? Wenn wir uns beim Zuhören, Sprechen, Nicken, Schreiben, Gestikulieren und Kaffeetrinken beobachten würden? Genau: Merkwürdig und anstrengend.

„Final sind die psychologischen Mechanismen noch nicht ganz klar, da braucht es auf jeden Fall noch mehr Forschung. Aber dieses permanente ‚Self-Monitoring‘ macht natürlich etwas mit uns und nicht nur, weil wir unsere Aufmerksamkeit ständig auf uns selbst und das Geschehen aufteilen müssen“, sagt Prof. Montag.

Spiegelangst: Wenn wir uns ständig selbst ansehen

In der Wissenschaft spricht man von „mirror anxiety“ oder „Spiegelangst“: Dass wir uns ständig selbst beobachten können, braucht kognitive Ressourcen und strengt an. Oft können wir uns dadurch weniger auf das Gesagte konzentrieren.

Doch das Betrachten des eigenen Abbilds führt nicht nur zu weniger Konzentration, sondern kann weitaus schlimmere Folgen haben. „Die permanente Selbst-Fokussierung führt dazu, dass man irgendwann jede Falte und jedes abstehende Haar wahrnimmt. Diese sehr detaillierte Beschäftigung mit sich selbst könnte dazu führen, dass man irgendwann unzufriedener wird oder bestehende Unsicherheiten vertieft werden“, sagt Prof. Montag.

Auch eine schlechte Verbindung, Lichtverhältnisse und das Design der Videokonferenz-Programme können dazu beitragen, dass wir uns unattraktiv finden. Und auch die anderen Teilnehmenden könnten eine Rolle spielen, vermutet Montag: „Sozialer Aufwärtsvergleich kann die eigene Unsicherheit verstärken, das wissen wir auch aus der Social-Media-Forschung. Da ist es natürlich noch etwas extremer, weil dort besonders mit Filtern, Bearbeitung und Licht gearbeitet wird“.

Zoom-Dysmorphia: Wegen Videocalls unzufrieden mit dem Aussehen

In der Forschung gibt es für dieses Phänomen den Namen „Snapchat-Dysmorphia“ – von dem sich der Ausdruck „Zoom-Dysmorphia“ ableitet. Diesen Begriff hat die Dermatologin Arianne Shadi Kourosh von der Harvard University geprägt. Die Forscherin konnte in einer Studie zeigen, dass die Nachfrage nach Schönheitsoperationen in der Pandemiezeit mit vielen Videokonferenzen merklich angestiegen ist.

Im Nachgang der Studie haben sich weltweit Dermatologinnen und Dermatologen gemeldet und berichtet, dass Videokonferenzen ein großes Thema in ihren Sprechstunden seien und durch sie Unzufriedenheiten verstärkt oder erst entstehen würden.

So kann man Videokonferenzen gesünder gestalten

Videokonferenzen ermöglichen es uns, produktiver und flexibler arbeiten zu können – können uns aber auch erschöpfen. Das hat auch Psychologe Montag gespürt: „Im ersten Pandemiejahr saß ich von morgens bis abends in Videokonferenzen. Nach einem Jahr war ich völlig erschöpft und wusste: Ich muss etwas ändern. Seitdem achte ich darauf, Videokonferenzen nur noch sehr dosiert und mit langen Pausen dazwischen einzuplanen und einen Tag in der Woche komplett ohne einzubauen.“

Diese intuitiven Lösungen haben sich in seiner Forschung bestätigt: „Je länger die Pause zwischen einzelnen Videokonferenzen, desto weniger Videokonferenz-Müdigkeit. Kürzere Videokonferenzen sind besser. Und sie scheinen weniger anstrengend zu sein, je weniger Teilnehmende dabei sind.“

Und Prof. Montag hat noch einen simplen, aber wirkungsvollen Tipp: Er stellt in den Einstellungen des Videokonferenz-Programms die Selbstansicht aus, sodass ihn zwar die Teilnehmenden sehen, er sich selbst aber nicht. „Das war am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, ich merke aber, dass ich mich viel mehr auf die anderen Personen konzentrieren kann.“


Quellen:

  • Montag C, Rozgonjuk D, Riedl R et al.: On the associations between videoconference fatigue, burnout and depression including personality associations. https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 18.06.2024)
  • Fauville G, Luo M, Muller Queiroz AC et al.: Nonverbal Mechanisms Predict Zoom Fatigue and Explain Why Women Experience Higher Levels than Men. https://papers.ssrn.com/... (Abgerufen am 18.06.2024)
  • Feder S: A cyberpsychologist explains why you can't stop staring at yourself on Zoom calls (and everyone else is probably doing the same). https://www.businessinsider.com/... (Abgerufen am 18.06.2024)
  • Rice S., Graber E, Kourosh A: A Pandemic of Dysmorphia: “Zooming” into the Perception of Our Appearance. https://www.liebertpub.com/... (Abgerufen am 18.06.2024)