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Bessere Zuckerwerte durch die Zerstörung von Darmschleimhaut? Klingt verrückt. Eine in den USA entwickelte Therapie verfolgt genau dieses Ziel: eine Zwölffingerdarm-Schleimhauterneuerung, englisch: Duodenal Mucosal Resurfacing (DMR). In Deutschland wurde sie erstmals 2023 angewendet. Was steckt dahinter?

Wie entsteht eine Schleimhautverdickung bei Typ-2-Diabetes?

„Die Schleimhaut des Zwölffingerdarms kann bei Typ-2-Diabetes verdickt sein — vermutlich als Folge ungünstiger Ernährung“, sagt Prof. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums. Die verdickte Schleimhaut, so die Annahme, produziert veränderte Signale. Das kann zur Folge haben, dass Darmhormone, etwa GLP-1, ihre blutzuckersenkende Wirkung nicht voll entfalten können. Die Verödung der Schleimhaut soll dazu führen, dass neue, gesunde Schleimhaut nachwächst, die den Blutzucker wieder gut reguliert.

Wie läuft die Behandlung per DMR ab?

„Für einen optimalen Effekt muss die Schleimhaut auf einer Länge von 10 bis 14 Zentimetern behandelt werden“, sagt Dr. Torsten Beyna, Chefarzt der Medizinischen Klinik im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. Er hat mittlerweile 50 Menschen mit Typ-2-Diabetes mit DMR behandelt. „In einer ersten Auswertung der Daten von 15 Patienten war der Blutzucker-Langzeitwert HbA1c drei Monate nach dem Eingriff im Schnitt um 1,5 Prozent gesunken. Fünf konnten die Dosis ihrer Diabetes-Medikamente verringern, drei ganz darauf verzichten“, so Martin, der Beynas Patienten betreut. Die guten Ergebnisse führt er aber auch darauf zurück, dass Patientinnen und Patienten gleich nach dem Eingriff ihre Ernährung umstellen müssen. Damit sich die Schleimhaut regenerieren kann, ist in der ersten Woche nur flüssige Kost erlaubt, etwa Formuladiät.

In den folgenden Wochen sind auch kohlenhydratarme Mahlzeiten möglich. „Eine gesunde Ernährung auf Dauer ist nötig, damit sich die Schleimhaut nicht wieder verdickt“, sagt Martin. Das Verfahren soll für Übergewichtige mit Typ-2-Diabetes infrage kommen, die trotz Medikamenten ihre Blutzucker-Zielwerte nicht erreichen und die noch genug eigenes Insulin produzieren.

Der Zwölffingerdarm

Der Zwölffingerdarm ist der erste Abschnitt des mehrere Meter langen Dünndarms. Er misst beim Menschen rund 30 Zentimeter, das sind etwa zwölf Fingerbreiten — daher hat er seinen Namen.

Welche Nebenwirkungen gibt es bei DMR?

Derzeit laufen Studien, um Nutzen und Risiken zu klären. Zu den bisher bekannten Risiken zählen innere Verletzungen. Häufige Nebenwirkungen sind vorübergehende Bauchschmerzen, geblähter Bauch, Übelkeit, Durchfall. Eine Beurteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist bis 2025 ausgesetzt. Die Behandlung ist keine Regelleistung der Krankenkassen. Diese zahlen aber, wenn die Klinik eine entsprechende Vereinbarung ausgehandelt hat. Derzeit (Stand Mai 2024) wird der Eingriff hierzulande nur in Düsseldorf angeboten, weiterführende Informationen per E-Mail: dmr@wdgz.de.

Die Grafik zeigt, wie die Schleimhautverödung im Zwölffingerdarm abläuft.

Die Grafik zeigt, wie die Schleimhautverödung im Zwölffingerdarm abläuft.

Was sind die Langzeiteffekte von DMR?

Unklar ist bislang, wie lange der positive Effekt auf den Stoffwechsel anhält, und damit, wie oft der Eingriff wiederholt werden muss. „Ebenfalls unbekannt sind langfristige Risiken“, sagt Prof. Erika Baum, Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). Baum: „Die Verbrennung der sensiblen Schleimhaut könnte später zu Schäden führen, die sich nicht rückgängig machen lassen, etwa Darmverengungen.“ Zudem gebe es Diabetes-Medikamente, die den Blutzucker vergleichbar gut senken und etwa auch das Herz schützen.

Fazit: Auch wenn die Verbesserung der Blutzuckerwerte beeindruckt und der mögliche Verzicht auf Medikamente attraktiv erscheint – die Methode DMR muss ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit in größeren Studien erst noch zeigen.


Quellen:

  • Martin S et al.: A Prospective Post-market Clinical Follow-up Registry to Evaluate Real-world Effectiveness of Duodenal Mucosal Resurfacing in Patients with Type 2 Diabetes. In: Diabetologie und Stoffwechsel: 18.04.2024, https://doi.org/...
  • van Baar A et al.: Durable metabolic improvements 2 years after duodenal mucosal resurfacing (DMR) in patients with type 2 diabetes (REVITA-1 Study). In: Diabetes Research and Clinical Practice: 13.01.2022, https://doi.org/...
  • Mingrone G et al. : Safety and efficacy of hydrothermal duodenal mucosal resurfacing in patients with type 2 diabetes: the randomised, double-blind, sham-controlled, multicentre REVITA-2 feasibility trial. Gut: https://gut.bmj.com/... (Abgerufen am 11.07.2024)