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Etwa 16 bis 20 Prozent der Menschen erkranken einmal im Leben an einer Depression. Zur Behandlung kommen häufig Antidepressiva zum Einsatz. Diese Medikamente helfen auch, andere psychische Erkrankungen wie Angst- oder Zwangsstörungen zu überwinden.

Doch Antidepressiva sind umstritten – vor allem wegen der Absetzsymptome, zu denen es am Ende der Therapie kommen kann. Eine aktuelle Studie in der Fachzeitschrift The Lancet Psychiatry zeigt: Jede sechste bis siebte Person, die Antidepressiva einnimmt, entwickelt nach dem Absetzen mindestens ein Symptom.

Wer entscheidet, wann ich die Antidepressiva absetzen kann?

Antidepressiva sollen laut der Patientenleitlinie Unipolare Depression nach dem Verschwinden depressiver Symptome noch mindestens vier bis neun Monate lang eingenommen werden.

„Wann der richtige Zeitpunkt für das Ausschleichen des Medikaments erreicht ist, entscheiden Patientinnen und Patienten gemeinsam mit ihrem behandelnden Psychiater oder ihrer behandelnden Psychiaterin“, erklärt Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, Psychiaterin und ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. „Je nach Vorgeschichte, also Schwere, Dauer und Anzahl der depressiven Episoden, variiert die Empfehlung, wie lange Antidepressiva einzunehmen sind, um idealerweise einen Rückfall zu vermeiden.“

Wie sollte das Ausschleichen im Optimalfall ablaufen?

Wie man Antidepressiva am besten ausschleicht, ist von Fall zu Fall verschieden. Prof. Dr. Tom Bschor, Autor des Buches „Antidepressiva – Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte“ und Mitautor der zitierten Studie, erklärt vier mögliche Szenarien:

  • Habe ich das Medikament nur für eine kurze Zeit eingenommen, also maximal für drei bis vier Wochen, kann ich es in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt oder der Psychiaterin sehr schnell wieder absetzen.
  • Habe ich die Antidepressiva länger eingenommen, leide aber unter extrem unangenehmen oder gar gefährlichen Nebenwirkungen, kann auf das Risiko von Absetzsymptomen keine Rücksicht genommen werden und die Einnahme ist ebenfalls sehr schnell zu beenden.
  • Will ich das Antidepressivum nach längerer Einnahme beenden, weil es nicht ausreichend wirkt, sollte die Zeit des Ausschleichens bei etwa vier bis sechs Wochen liegen. Denn ich brauche ja ein neues Medikament – und das nicht erst in mehreren Monaten.
  • Habe ich sehr viel Zeit, weil ich von meiner psychischen Erkrankung geheilt bin und die Medikamente gut vertragen habe, darf und sollte das Ausschleichen gut und gern mehrere Monate dauern.
Antidepressiva werden langsam über zwei bis drei Monate ausgeschlichen, in Abhängigkeit der klinischen Symptome gegebenenfalls auch noch behutsamer

Prof. Domschke rät ebenfalls zur Ruhe beim Absetzen: „Wie in allen klinischen Leitlinien empfohlen, etwa in der Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, gilt weiterhin: Nicht hetzen beim Absetzen. Das heißt, Antidepressiva werden langsam über zwei bis drei Monate ausgeschlichen, in Abhängigkeit der klinischen Symptome gegebenenfalls auch noch behutsamer“.

Beim Ausschleichen selbst kommt es vor allem darauf an, die Dosis gegen Ende nur sehr langsam und vorsichtig zu reduzieren. „Anfangs kann ich noch mutiger vorgehen: Bei einer Dosis von 100 Milligramm kann ich direkt auf 50 Milligramm reduzieren, dann gehe ich auf 35 und werde dann immer kleinschrittiger – 25, 20, 15, 12, 10 und so weiter“, erläutert Bschor. Das sei wichtig, damit der Körper sich auf die verminderte Dosis einstellen kann.

Was sollte ich tun, wenn mich Beschwerden plagen?

„Bei den typischen Absetzsymptomen handelt es sich meist um leicht ausgeprägte Beschwerden, die sich in den allermeisten Fällen nach etwa zwei Wochen wieder gelegt haben“, sagt Domschke. „Dazu gehören Schwindel, Kopfschmerzen, grippeähnliche Symptome, Übelkeit, Schlafstörungen, Ängstlichkeit oder Reizbarkeit. Vereinzelt berichten Betroffene auch von einschießenden Schmerzen wie kleine Stromschläge, was aber sehr selten auftritt.“

Egal, um welche Beschwerden es sich handelt: Der erste Schritt ist immer das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin. „Deren Aufgabe ist es, schon zu Beginn des Ausschleichens ausführlich aufzuklären – auch über seltene Absetzsymptome. Einfach, damit Patientinnen und Patienten im Zweifel solche plötzlichen Schmerzen zuordnen können und nicht in Panik verfallen, weil sie nicht wissen, was es ist“, erläutert Bschor.

Besonders wichtig bei auftretenden Nebenwirkungen ist zudem, nicht wieder zur ursprünglichen Dosis des Medikaments zurückzukehren. „Immer nur auf die letzte Stufe zurückgehen und danach mit verlangsamtem Tempo weiter reduzieren“, empfiehlt Bschor. „Und darauf vertrauen, dass die Absetzsymptome bald wieder aufhören. Sie sind zwar lästig, aber meist für diese begrenzte Zeit aushaltbar.“

Unterscheiden sich die Absetzsymptome bei verschiedenen Wirkstoffen?

„Abgeleitet aus der klinischen Erfahrung, und durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigt, kann es beim Absetzen von Antidepressiva mit den Wirkstoffen Venlafaxin und Paroxetin etwas häufiger zu Symptomen kommen als bei anderen Wirkstoffen“, erklärt Domschke. Gezielte Vergleichsuntersuchungen stünden aber noch aus.

Häufig ist von Entzugs- statt Absetzsymptomen die Rede – machen Antidepressiva abhängig?

„Die Worte sind für mich synonym zu verwenden und es besteht meiner Ansicht nach eher ein ideologischer Unterschied“, sagt Prof. Bschor. „Kritiker von Antidepressiva sprechen häufiger von Entzugssymptomen, während Fürsprecher eher das Wort Absetzsymptome verwenden. Um von einer Abhängigkeit zu sprechen, braucht es aber definitiv mehr: Man hat dann das unstillbare Verlangen nach der Substanz, will die Dosis erhöhen, nimmt es heimlich und so weiter. All das haben wir bei der Einnahme von Antidepressiva nicht.“

Wie können Apotheken beim Absetzen unterstützen?

Glücklicherweise kann Ihr Apotheker oder Ihre Apothekerin Ihnen während des Ausschleichens sehr gut helfen. Vor allem gegen Ende des Absetzens, wenn die Dosierungen immer geringer werden, komme man mit Tablettenteilen nicht weiter. „Hier wird eine Feinwaage benötigt, wie sie in Apotheken vorhanden ist“, sagt Bschor. „Manche Antidepressiva werden auch in Kapselform verabreicht. In diesen Hüllen befinden sich Mini-Kapseln, die man bei manchen Medikamenten auch einzeln nehmen kann – der Apotheker oder die Apothekerin wissen, wann.“

Nimmt man das Präparat in Tropfenform ein, ist die Dosierung irgendwann so niedrig, dass man weniger als einen Tropfen nehmen muss. Hier könne der Apotheker oder die Apothekerin eine entsprechende Verdünnungslösung herstellen und so die richtige Dosis gewährleisten.


Quellen:

  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.: Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 03.07.2024)
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V., Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN): PatientenLeitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 03.07.2024)
  • Henssler J, Heinz A, Brandt L et al.: Absetz- und Rebound-Phänomene bei Antidepressiva. In: Dtsch Arztebl Int: 01.01.2019, https://doi.org/...
  • Hennsler J, Schmidt Y, Schmidt S et al.: Incidence of antidepressant discontinuation symptoms: a systematic review and meta-analysis. In: The Lancet Psychiatry: 05.06.2024, https://doi.org/...