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Wie sinnvoll ist eine kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen?

Es kann auch im Erwachsenenalter sinnvoll sein, sich kieferorthopädisch behandeln zu lassen, sagt Prof. Dr. Christopher J. Lux, Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Heidelberg. „Viele Erwachsene leiden unter Zahn- und Kieferfehlstellungen, die nicht nur ästhetische Probleme verursachen, sondern auch zu Kau- und Sprechschwierigkeiten und funktionellen Problemen führen können.“

Eine kieferorthopädische Behandlung kann laut Lux nicht nur das Aussehen verbessern, sondern – je nach Zahnfehlstellung – auch Kaufunktion, Mundgesundheit, Lebensqualität und Selbstwertgefühl positiv beeinflussen. Es stehen eine Vielzahl verschiedener Behandlungsgeräte und Methoden zur Verfügung, die individuell ausgewählt werden müssen.

Bei welchen Zahnfehlstellungen ist eine Behandlung im Erwachsenenalter wichtig?

„Eine kieferorthopädische Behandlung im Erwachsenenalter ist bei verschiedensten Zahnfehlstellungen denkbar“, sagt Lux und nennt einige Beispiele: eng stehende, verschachtelte oder gekippte Zähne, Zahnlücken oder ein vertikaler Versatz der Zähne. Eine Behandlung kann es Betroffenen leichter machen, die Zähne gründlich zu reinigen.

Auch Probleme beim Biss, also beim Zusammenbeißen der Zähne, können behoben werden. Mitunter sind kieferorthopädische Behandlungen auch im Rahmen anderer zahnärztlicher Maßnahmen sinnvoll – etwa vor einer Versorgung mit Implantaten oder Zahnersatz oder nach einer Parodontitisbehandlung. Und: „Größere Abweichungen der Kieferlage, wie zum Beispiel ein sehr weit zurückliegender oder vorstehender Unterkiefer, müssen im Erwachsenenalter ebenfalls nicht hingenommen werden, sondern können im Rahmen einer kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Therapie behandelt werden“, sagt Lux.

„Wichtig ist, dass man sich nie für die bestehende Situation schämen sollte. Vielmehr ist es sinnvoll, sich eine Expertenmeinung einzuholen, denn eine kieferorthopädische Behandlung ist grundsätzlich bis ins hohe Alter möglich.“

Wer zahlt die kieferorthopädische Behandlung bei Erwachsenen?

Die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung werden nur in Ausnahmefällen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Diese zahlen bei schweren Anomalien, die auch kieferchirurgische Maßnahmen erfordern, wie Daniela Hubloher erklärt. Sie ist Expertin für Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale Hessen.

Bei den privaten Krankenversicherungen können Patientinnen und Patienten die Infos zur Kostenübernahme in den Vertragsbedingungen finden. „Auch hier müssen die Maßnahmen in aller Regel medizinisch notwendig sein. Rein kosmetische Behandlungen werden normalerweise nicht bezahlt.“ Das heißt: Erwachsene – egal ob gesetzlich oder privat versichert – zahlen für Kieferorthopädie in den allermeisten Fällen selbst.

Wieviel Geld man einplanen muss, lässt sich pauschal nicht sagen. In der Regel kann man laut Hubloher von mehreren Tausend Euro ausgehen. Wie hoch die Kosten sind, hänge vor allem von der Behandlungsmethode ab – etwa, für welche Zahnspange man sich entscheidet – und welchen Steigerungssatz die Ärztin oder der Arzt veranschlagt. Der Steigerungssatz ist der Faktor, mit dem der in der Gebührenordnung für Zahnärzte festgelegte Satz für die Behandlung im jeweiligen Fall bei Selbstzahlern oder Privatversicherten multipliziert wird. Bei einfachen Behandlungen wird der einfache Satz verlangt, bei mittelschweren der 2,3-fache und bei komplizierten der 3,5-fache.

Worauf sollte man bei der Wahl der kieferorthopädischen Praxis achten?

Wichtig ist zunächst die Berufsbezeichnung: Speziell ausgebildet für die Zahn- und Kieferregulierung sind Fachzahnärztinnen und Fachzahnärzte für Kieferorthopädie. Dort kommt es dann vor allem auf die Beratung an, wie Daniela Hubloher betont. Dazu zählt zum Beispiel die Aufklärung über verschiedene Behandlungsalternativen. „Patientinnen und Patienten müssen wissen, welche unterschiedlichen Methoden es gibt und was jeweils dafür und was dagegen spricht.“ Wichtige Infos sind auch die voraussichtliche Belastung durch die Behandlung und auch das jeweils zu erwartende Ergebnis.

Und: Die Kosten müssen transparent dargestellt werden. „Vor einer Behandlung sollten Patientinnen und Patienten unbedingt einen Kostenvoranschlag einholen“, rät Hubloher. Ebenfalls wichtig: Besprechen, wie lange die Behandlung voraussichtlich dauern wird und ob danach noch Haltemaßnahmen notwendig sind – das sind feste Drähte oder lose Zahnspangen, die die begradigten Zähne nach der Behandlung an Ort und Stelle halten.

Ist vor der kieferorthopädischen Behandlung beim Erwachsenen eine Zweitmeinung sinnvoll?

„Auf jeden Fall“, sagt Hubloher. „Die Behandlung kann sehr, sehr teuer werden und die Kosten können je nach Methode und kieferorthopädischer Praxis stark variieren.“ Außerdem sollten Patientinnen und Patienten sich mit ihrer Wahl sicher sein, bevor sie die Behandlung beginnen. Denn die kieferorthopädische Praxis währenddessen zu wechseln, ist mitunter gar nicht so einfach, weil die Behandlung bei der neuen Ärztin oder dem neuen Arzt unter Umständen ganz anders aussehen würde.

Wichtig ist allerdings, nach den Kosten für den Beratungstermin zu fragen, sagt Hubloher. „Da die Krankenkassen die Kosten für kieferorthopädische Behandlungen in der Regel nicht übernehmen, kann auch schon das unverbindliche Erstgespräch eine Selbstzahlerleistung sein.“

Ist die Behandlung bei Erwachsenen schwieriger als bei Kindern und Jugendlichen?

Im Erwachsenenalter müssen die individuellen Besonderheiten und die bereits bestehenden Probleme noch stärker berücksichtigt werden. „Vorab ist eine ausführliche Diagnostik durchzuführen, um mit dem Experten den optimalen Behandlungsweg zu finden und der individuellen Anatomie des Kiefers Rechnung zu tragen“, betont Lux.

Dies sei bei Erwachsenen von besonderer Bedeutung, da im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen oft bereits Abbauvorgänge im Kausystem vorliegen, wie zum Beispiel Parodontitis, Knochenabbau oder Abrieb von Zahnschmelz. „Durch die Vielzahl der verfügbaren Behandlungsmittel kann man diesen Einschränkungen jedoch auch gut therapeutisch begegnen“, sagt Lux.

Ist das Ergebnis einer Behandlung im Erwachsenenalter dauerhaft?

„Grundsätzlich ja“, sagt Lux. „Allerdings hängt die Dauerhaftigkeit des Ergebnisses von verschiedenen Faktoren ab.“ Zum Beispiel von der Art der Behandlung, der individuellen Mundgesundheit und auch der Einhaltung von Nachsorgeempfehlungen.

Nach abgeschlossener Behandlung ist es häufig empfehlenswert, einen festsitzenden, innenwärts geklebten Haltedraht einzubringen und/oder nachts eine herausnehmbare Halte-Zahnspange zu tragen. So werden die Zähne in ihrer neuen Position gehalten. Kontrollen der Haltemaßnahmen über einen längeren Zeitraum sind in jedem Fall sinnvoll. „Sofern die empfohlenen Maßnahmen nach Abschluss der Behandlung eingehalten werden, ist das Ergebnis in der Regel langzeitstabil.“

Sind Aligner aus dem Internet eine gute Alternative?

Aligner sind herausnehmbare, durchsichtige Zahnschienen aus Kunststoff. Sie sollen die Zähne nach und nach in die gewünschte Position bringen. Ist ein Zwischenziel erreicht, wird die Schiene durch eine neue ersetzt, die wieder Druck ausübt.

In kieferorthopädischen Praxen wird die Behandlung mit Alignern ebenfalls angeboten – im Internet allerdings günstiger. Aber: Daniela Hubloher warnt davor, Aligner im Internet zu ordern. „Es ist fraglich, ob die Behandlung mit wenig oder ganz ohne Kontrollen der Fachärztin oder des Facharztes gut funktioniert.“ Hinzu kommt: „Die Hersteller verwenden Scheinprüfsiegel, Patientinnen und Patienten werden während der Behandlung zu wenig begleitet und oft gibt es Beschwerden und Probleme mit dem Widerspruchsrecht.“

Sie kenne einen Fall, in dem ein Patient fünf Minuten, nachdem er die Aligner-Behandlung bei einem Online-Anbieter bestellt hatte, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen wollte, aber nicht konnte. Der Anbieter argumentierte, dass es sich um eine individuelle Anfertigung handele, die man nicht zurückgeben könne.


Quellen:

  • Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie und Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde : S3-Leitlinie (Patientenversion): Ideale Behandlungszeitpunkte kieferorthopädischer Anomalien. Leitlinie: 2021. (Abgerufen am 15.07.2024)

  • Universitätsklinikum Regensburg: Kieferorthopädie im Erwachensenenalter. https://www.ukr.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Verbraucherzentrale: Eigenanteil, Kassenleistung und Zusatzkosten beim Kieferorthopäden. https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung: Gebührenverzeichnisse. https://www.kzbv.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)
  • Verbraucherzentrale: Aligner: Gewerbliche Zahnschienen-Anbieter im Marktcheck. https://www.verbraucherzentrale-hessen.de/... (Abgerufen am 15.07.2024)