Logo der Apotheken Umschau

Bei den ersten Schritten fühlen sich die Beine an wie Blei. Der Weg zum Briefkasten – ein Kraftakt. Wer mal für längere Zeit das Bett hüten musste, weiß: Man baut schnell ab. Weil der Appetit fehlt, isst man meist weniger. Der Körper zehrt von den Fettreserven, aber auch von den Muskeln. Aus Studien mit Menschen, die sich freiwillig Bettruhe verordnen ließen, weiß man: „Innerhalb weniger Tage kommt es zu einem eklatanten Muskelmasseverlust“, sagt Prof. Dr. Christoph Raschka. Der Facharzt für Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Sportmedizin ist neben seiner Praxis am Institut für Sportwissenschaft der Universität Würzburg tätig. Zur ursprünglichen Form zurückzukommen, dauert Wochen bis Monate – und ist mühsam. Wie gelingt es am besten? „Die Kombination ist wichtig: einerseits trainieren und andererseits auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten“, sagt Raschka.

Wie viel Eiweiß sollte aufgenommen werden?

Das Protein – umgangssprachlich Eiweiß – ist der zentrale Baustein der Muskulatur. Es ist ein ständiger Ab- und Aufbauprozess. Führt man dem Körper nicht genügend neue Bausteine zu, baut er Muskeln ab. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Erwachsenen, pro Tag und Kilogramm Körpergewicht 0,8 Gramm Eiweiß über die Nahrung zu sich zu nehmen.

Ab 65 Jahren soll es ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht sein, „weil der Körper im Alter mehr Protein braucht, um den Muskelaufbau maximal anzuregen“, erklärt Dorothee Volkert, Professorin für klinische Ernährung im Alter an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie stellt klar: „Diese Werte sind in erster Linie zum Erhalt der Muskelmasse gedacht. Wer Muskeln aufbauen will, braucht etwas mehr.“ Wie viel genau, sei schwer zu sagen. Eine eindeutige Empfehlung gibt es nicht. Viele Menschen nehmen im Alltag ohnehin mehr als die empfohlene Menge Eiweiß zu sich. Daher muss der Konsum vielleicht gar nicht drastisch erhöht werden.

Gibt es ein Zuviel an Eiweiß?

Für gesunde Menschen seien bis zu zwei Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag kein Problem, so Volkert. Bei einer chronischen Nierenschwäche muss die Eiweißzufuhr hingegen genau geregelt werden. Wer überlegt, seine Ernährung umzustellen, sollte generell mit Arzt oder Ärztin darüber sprechen.

Welche Rolle spielt die Eiweiß-Qualität?

Expertin Volkert weist darauf hin, dass auch die Qualität des Eiweißes eine Rolle spielt: „Tierisches Eiweiß ist dem menschlichen ähnlicher und kann deshalb besser verwertet werden.“ Doch durch geschicktes Kombinieren, etwa von Getreide und Hülsenfrüchten, lässt sich die Verwertbarkeit von pflanzlichem Protein verbessern. Zudem wisse man, dass Eiweiß zusammen mit Kohlenhydraten besser aufgenommen werde, sagt Raschka. Für Menschen, die viel Gewicht und Muskelmasse verloren haben, ist eine professionelle Ernährungsberatung sinnvoll. Insbesondere, wenn sich Betroffene vegan ernähren oder Unverträglichkeiten haben. Auch die Apotheke kann vor Ort weiterhelfen.

49979667_bec3ccb4d8.IRWUBPROD_5O32.jpg

Viel Protein, viele Muskeln?

Lebensmittel mit viel Eiweiß scheinen ideal für Sportlerinnen und Sportler. Aber: Brauchen sie die wirklich? zum Artikel

Welchen Einfluss hat Krafttraining?

Doch: „Die Ernährung alleine macht es nicht“, sagt Volkert. Damit die Muskeln stärker werden, muss man sie benutzen. Krafttraining sei hier das Entscheidende. Dazu braucht es nicht zwangsläufig Gewichte, Übungen mit dem eigenen Körpergewicht können ausreichen. Essenziell ist, dem Muskel einen Reiz zu geben – sonst wächst er nicht. Es muss also ein bisschen anstrengen. Sportmediziner Raschka empfiehlt, in ein Fitnessstudio oder zu erfahrenen Trainingsprofis zu gehen und sich einen Plan erstellen zu lassen. Man könne auch alleine zu Hause trainieren. Vor allem am Anfang sei aber wichtig, dass jemand auf die korrekte Durchführung achtet. Je nachdem, weshalb man pausieren musste, vorher mit Arzt oder Ärztin Rücksprache halten.

Vielen hilft es, sich Menschen in ähnlicher Situation anzuschließen. In vielen Städten gibt es spezielle Reha-Sportgruppen. Oberste Maxime bei jeder sportlichen Aktivität: sich nicht gleich überfordern und dem Körper genügend Zeit geben. Denn: „Mit jedem Training zerstört man gewisse Strukturen im Muskel“, erklärt Raschka. Das ist normal, nur durch Umbau kann der Muskel stärker werden. Der macht sich bemerkbar – durch Muskelkater. Dann nicht unmittelbar einen neuen Reiz setzen, sondern abwarten, bis der Kater nachlässt. Letztendlich ist er ja ein gutes Zeichen: Es geht aufwärts.

Interview: Wer braucht hochkalorische Aufbaunahrung?

Von wegen süß und klebrig: Aufbaunahrung gibt es mittlerweile sogar in herzhaften Geschmacksvarianten. Apothekerin Stefanie Nettersheim aus Nürnberg erklärt, worauf Sie bei den Produkten achten sollten:

Frau Nettersheim, was raten Sie Menschen, die – etwa aufgrund einer Krebserkrankung – viel Gewicht verloren haben?

Wer wenig essen kann oder kaum Appetit hat, kann es mit hochkalorischer Aufbaunahrung – umgangssprachlich Astronautennahrung – versuchen. Die gibt es in unterschiedlicher Zusammensetzung. Der Gehalt an Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß ist immer an einen bestimmten Bedarf angepasst. Der hängt von verschiedenen Faktoren, etwa dem Gesundheitszustand, ab. Es gibt auch Nahrung mit erhöhtem Ballaststoffanteil oder speziell für Menschen mit Diabetes.

Woher weiß ich, was ich brauche?

Oft wird eine solche Nahrung von Arzt oder Ärztin verordnet, etwa für Krebs- oder Schmerzpatientinnen und -patienten. Der ungefähre Bedarf lässt sich auch anhand von Körpergewicht und -größe berechnen. Auf der Packung ist immer die Kalorienzahl angegeben.

Man kann sich also auch in der Apotheke vor Ort beraten lassen?

Wenn es nichts total Spezielles ist, ja. Ansonsten verweisen wir an die Ärztin oder den Arzt.

Ist eine solche Nahrung immer flüssig und süß?

Nein. Es gibt nicht nur Getränke, sondern auch Cremes zum Löffeln. Mittlerweile sind herzhafte Geschmacksrichtungen erhältlich, etwa Karotte, Spargel oder Champignon. Es gibt auch Mischkartons, sodass man nicht immer denselben Geschmack hat.

Muss ich die Spezialnahrung selbst bezahlen?

Nicht unbedingt. Aufbaunahrung kann, wie gesagt, in manchen Fällen ärztlich verordnet werden. Dann bezahlt oft die Krankenkasse.

Nimmt man die hochkalorischen Produkte zusätzlich oder anstatt der Mahlzeiten zu sich?

Beides ist möglich. Personen, die gar nichts mehr essen können, nehmen sie anstatt der Mahlzeiten zu sich. Oft wird Aufbaunahrung aber zusätzlich verordnet. In der Regel enthält eine Packung nur 200 Milliliter – das kriegt man ganz gut runter.

Was muss ich beachten, wenn ich noch zusätzlich Medikamente einnehme?

Stark ballaststoffhaltige Präparate sollte man eventuell etwas zeitversetzt einnehmen, hierzu beraten wir gerne individuell. Ansonsten ist das wie normales Essen, auch Mineralstoffe und Vitamine sind darin enthalten. Alles, was man braucht.

Gibt es solche Produkte auch im Supermarkt oder in der Drogerie?

Nein. Dort gibt es zwar Nahrungsergänzungsmittel, aber keine vollständigen bilanzierten Diäten, wie wir es nennen. Die gibt es nur in der Apotheke.

Rechenbeispiel:

Eine Person, die momentan 60 Kilogramm wiegt, aber Muskelmasse aufbauen möchte, benötigt pro Tag 60 bis 90 Gramm Eiweiß. Das ließe sich zum Beispiel mit 200 Gramm Magerquark mit Haferflocken (enthält 25 Gramm Eiweiß), einer Portion Ofenkartoffeln mit Ei und Lachs (circa 45 Gramm Eiweiß) und einem belegten Vollkornbrot mit Käse (15 Gramm Eiweiß) gut decken.

Quelle: https://www.ernaehrungs-umschau.de/fileadmin/Ernaehrungs-Umschau/pdfs/pdf_2020/07_20/EU07_2020_M406_M413_1.pdf