Logo der Apotheken Umschau

Kommen Allergiker mit dem Allergen in Kontakt, kann es schnell gehen: Die Betroffenen können mit vielfältigen Symptomen reagieren, wie juckenden Quaddeln, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Atemnot – im schlimmsten Fall droht sogar ein Herz-Kreislaufstillstand. Dann spricht man von einem anaphylaktischen Schock.

Kinder oder Erwachsene mit einem erhöhten Risiko tragen daher häufig ein Notfallset bei sich, das unter anderem eine Adrenalin-Spritze enthält. Es kann Leben retten, kommt aber dennoch nicht immer zum Einsatz, möglicherweise auch aus Angst vor der Spritze. Nun hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) ein Adrenalin-Nasenspray zur Zulassung empfohlen.[1]

Was ist ein anaphylaktische Reaktion beziehungsweise ein anaphylaktischer Schock?

Eine anaphylaktische Reaktion ist eine starke allergische Reaktion, die den ganzen Körper betrifft und lebensbedrohlich verlaufen kann. Die häufigsten Auslöser sind bei Erwachsenen Insektenstiche (meist Bienen- oder Wespenstiche), bei Kindern vor allem Nahrungsmittel wie Erdnüsse, Kuhmilch oder Hühnerei. Bei der anaphylaktischen Reaktion zeigen sich vielfältige Symptome: Schwellungen der Haut, Quaddeln, auch Hustenattacken, Schwindel oder Magen-Darm-Beschwerden können auftreten. In besonders schweren Fällen drohen Atemnot und Herz-Kreislaufversagen – dann wird es lebensbedrohlich. Dies wird auch als anaphylaktischer Schock bezeichnet.

„All diese Symptome sind die Folge einer Fehlsteuerung des Immunsystems und seiner überschießenden, unspezifischen Aktivierung“, erklärt Prof. Dr. Steffen Emmert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie der Universitätsmedizin Rostock. Histamin und zahlreiche andere Botenstoffe werden verstärkt ausgeschüttet, was zu einer gefährlichen Kettenreaktion führt: Blutgefäße weiten sich, es kommt zu Schwellungen der Haut und der Atemwege und der Blutdruck fällt ab. Die Symptome können gleichzeitig, aber auch nacheinander auftreten. Manchmal entstehen Kreislaufprobleme, ohne dass vorher Haut- oder Atemreaktionen auftraten. Anaphylaktische Reaktionen gehören zu den schwersten und potenziell lebensbedrohlichen dramatischen Ereignissen in der Notfallmedizin.

Wer sollte einen Notfallset Anaphylaxie bei sich tragen?

Häufig wird ein Notfallset Menschen verordnet, bei denen in der Vorgeschichte bereits anaphylaktische Reaktionen aufgetreten sind, oder die eine Allergie haben auf Allergene, die sie selber nicht sicher vermeiden können – also zum Beispiel auf Insektengift oder Nahrungsmittel, die schon in sehr geringen Mengen schwere Reaktionen auslösen können. Das gilt beispielsweise für die Erdnuss- oder Sesamallergie.

In bestimmten Fällen kann auch Menschen mit Asthma ein Notfallset verordnet werden, ebenso wie Menschen mit Mastozytose, einer seltenen Erkrankung bestimmter Abwehrzellen. „Erklärt man den Patienten die Notfallmedikamente, dann reagieren einige Patienten ganz gelassen, andere äußern sofort ihre Angst vor der Spritze“, erzählt Prof. Dr. Silke Hofmann, Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal.

Wichtig zu wissen: Bei der Adrenalin-Spritze handelt es sich nicht um eine klassische Spritze, wie man sie von Arzt oder Ärztin kennt, sondern um einen Autoinjektor, also eine automatische Injektionshilfe. Er wird in die Außenseite des Oberschenkels verabreicht, einer Region mit relativ wenig Schmerznerven, sodass der Piecks kaum zu spüren ist.

Wie sind die Notfall-Medikamente richtig anzuwenden?

In der Klinik wird Betroffenen genau erklärt, wie sie das Set im Notfall nutzen sollten. Der korrekte Einsatz des Adrenalin-Pens wird mit einem Dummy geübt. „Ich bin überzeugt, dass eine gute Aufklärung den Menschen hilft, sich im Notfall richtig zu verhalten“, sagt Hofmann. Dazu gehört unter anderem, die drei Medikamente des Notfallsets – ein Kortison, ein Antihistaminikum und eine Adrenalin-Fertigspritze – in der richtigen Reihenfolge anzuwenden.

„Droht ein anaphylaktischer Schock sollte man sich zuerst den Adrenalin-Pen durch die Kleidung in den Oberschenkelmuskel rammen, um den Kreislauf zu stabilisieren und handlungsfähig zu bleiben“, erklärt Steffen Emmert. „Erst danach sollten das flüssige Kortison und der Antihistaminikum-Saft getrunken werden, um unter anderem die Schwellungen zu reduzieren.“

Wie und wann das Notfallset genau einzusetzen ist, sollte jede Patientin und jeder Patient mit Arzt oder Ärztin absprechen.

Bei welchen Symptomen sollte man den Adrenalin-Pen einsetzen?

„Bei reinen Haut- und Schleimhaut-Symptomen, also Quaddeln am Körper oder einer leicht geschwollenen Zunge, mit der man noch gut schlucken und sprechen kann, braucht man kein Adrenalin, da reicht es, das Antiallergikum und das Antihistaminikum zu nehmen, die auch Bestandteil des Notfallsets sind“, erklärt Silke Hofmann. „Wenn jemand aber ein Kribbeln in den Händen oder Füßen spürt, ist das oft der Beginn einer Kreislaufreaktion – dann sollte man die Spritze nehmen. Und erst recht, wenn Schwindel oder Atemnot auftreten oder es sehr schnell zu heftigen Magen-Darm-Symptomen wie Durchfall oder Erbrechen kommt.“

Kostenloser Download

Unser pdf gibt Ihnen einen Überblick dazu, wie Sie bei anaphylaktischem Schock vorgehen sollten:

Was bewirkt das Adrenalin im Körper?

Das Adrenalin (Epinephrin) mindert die anaphylaktische Reaktion, indem es an bestimmte Rezeptoren bindet. Es korrigiert unter anderem den Blutdruckabfall, indem es Gefäße verengt und den Puls beschleunigt. Außerdem erweitert es die Bronchien, was gegen die Luftnot hilft.

Warum wird die Adrenalin-Spritze trotz erwiesener Wirksamkeit im Notfall zu selten eingesetzt?

Sowohl die Erfahrungen der Expertinnen und Experten als auch wissenschaftliche Daten zeigen: Der Pen wird trotz seiner erwiesenen Wirksamkeit von den Patienten oft zurückhaltend eingesetzt. Eine Untersuchung von 10.184 Anaphylaxie-Fällen kam zu dem Ergebnis: 22,4 Prozent der Patienten trugen beim Auftreten anaphylaktischer Reaktionen zwar ein Gerät bei sich, setzten es aber nicht ein. Vermuteten Gründe dafür sind die Angst vor der Nadel und eine nicht ausreichende Schulung der Patienten. Daher könnte das neue Adrenalin-Nasenspray eine gute Alternative sein.

Wirkt das Adrenalin-Nasenspray genauso gut wie der Adrenalin-Pen?

Untersuchungen an gesunden Menschen legen nahe, dass das Adrenalin-Nasenspray ähnlich effektiv wie die Spritze wirkt. So konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass Blutdruck und Herzfrequenz sowie die Aufnahme, Veränderung und Ausscheidung des Arzneimittels im Körper von über die Nasenschleimhaut verabreichtem Adrenalin im Körper vergleichbar ist mit der Wirkung einer Spritze in den Muskel.


Quellen:

  • [1] European Medicines Agency: First nasal adrenaline spray for emergency treatment against allergic reaction. https://www.ema.europa.eu/... (Abgerufen am 18.07.2024)
  • Blumchen K, Beder A, Beschorner J et al.: Modified oral food challenge used with sensitization biomarkers provides more real-life clinical thresholds for peanut allergy. In: The Journal of Allergy and Clinical Immunology: 13.05.2014, https://doi.org/...
  • Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie : Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021. Leitlinie: 2021. (Abgerufen am 18.07.2024)

  • Worm M, Francuzik W, Renaudin JM et al.: Factors increasing the risk for a severe reaction in anaphylaxis: An analysis of data from The European Anaphylaxis Registry. In: Allergy: 10.01.2018, https://doi.org/...
  • Ring J, Klimek L, Worm M: Adrenalin in der Akutbehandlung der Anaphylaxie. In: Deutsches Ärzteblatt: 06.08.2018, https://doi.org/...
  • Grabenhenrich LB, Sabine Dölle S, Ruëff F et al.: Epinephrine in Severe Allergic Reactions: The European Anaphylaxis Register. In: The Journal of Allergy and Clinical Immunology: In Practice: 29.03.2018, https://doi.org/...
  • Bundesinstitut für Risikobewertung: Lebensmittelallergien. https://www.bfr.bund.de/... (Abgerufen am 22.07.2024)
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: Anaphylaktische Reaktion (Anaphylaxie) gegen Medikamente. https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 22.07.2024)