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Was für ein Wirkstoff ist Daridorexant?

Daridorexant ist ein Medikament, das zur Behandlung von Insomnie (Schlaflosigkeit) eingesetzt wird. Der Wirkstoff gehört zu einer neuen Wirkstoffklasse, den Orexinhemmern. Die Wirkstoffe dieser Klasse sollen beim Ein- und Durchschlafen helfen, indem sie die wachheitsfördernden Effekte des Botenstoffs Orexin im Gehirn hemmen.

Professor Dr. Ulrich Sommer, Schlafmediziner aus München: „Dadurch wird der Schlaf gefördert, ohne die natürlichen Schlafphasen zu stören.“ Das soll zu einem erholsameren Schlaf führen und soll auch Schläfrigkeit am folgenden Tag verringern. Zugelassen ist das Mittel für Menschen mit Schlafstörungen, die seit mindestens drei Monaten bestehen und erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit am Tag haben. [1]

Der Schlaf wird gefördert, ohne die natürlichen Schlafphasen zu stören

Was unterscheidet Daridorexant von anderen Schlafmitteln?

Daridorexant wird im Vergleich zu älteren Schlafmitteln, wie Benzodiazepinen oder Z-Substanzen, ein geringes Abhängigkeitspotential nachgesagt. Das soll daran liegen, dass der Wirkstoff spezifischer im Gehirn wirkt.

Expertinnen und Experten finden dafür allerdings noch keine handfesten wissenschaftliche Belege. Der gemeinsame Bundesausschuss in Deutschland hielt in einem Beschluss etwa fest, dass kein Zusatznutzen von Daridorexant gegenüber dem Schlafmittel Zolpidem belegt ist.[2]

Zolpidem ist ein älteres Schlafmittel aus der Gruppe der Z-Substanzen, dem ebenfalls ein schwächeres Risiko für Abhängigkeit nachgesagt wurde. Mittlerweile weiß man, dass das Mittel bei längerer Einnahme zu einer Gewöhnung führen kann.[3] Johannes Rehm, Apotheker in Augsburg, erklärt: „Bei dauerhafter Einnahme von Benzodiazepinen und Z-Substanzen kann es zu einer Toleranzentwicklung kommen und bestehende Dosierungen nicht mehr ausreichend wirken.“ In diesem Fall könnte sich laut Rehm, ein Wirkstoffwechsel zu Daridorexant ebenfalls positiv auswirken. Wie sinnvoll ein solcher Wechsel ist, bewertet der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin und verordnet, was er oder sie am geeignetsten einschätzen.

Ein weiterer Unterschied ist der Preis. Die Behandlung mit Daridorexant ist deutlich teurer. Im Vergleich mit jedem bisher zugelassen Schlafmedikament kostet die Therapie mit Daridorexant mehr als das Zehnfache.[2]

Macht Daridorexant nicht abhängig?

Im Vergleich zu den bisher bekannten Schlafmitteln, wie etwa Benzodiazepinen, wird angenommen, dass Daridorexant ein geringeres Abhängigkeitspotenzial hat. Außerdem soll das Risiko verringert sein, nach dem Absetzen des Mittels Entzugserscheinungen, wie verlängerte Einschlafphasen oder Durchschlafprobleme, zu bekommen. [4]Expertinnen und Experten der Arzneimittelkommission Deutscher Ärzteschaft sehen bisher beide Eigenschaften nicht als belegt. Es gibt bisher keine umfangreichen Daten beziehungsweise nur wenig aussagekräftige Studien dazu.[5] Die Fachärztin für klinische Pharmakologie Dr. Susane Zeun erklärt: „Eine psychische Abhängigkeit und der Gedanke ‚Ich brauche die Tablette, um schlafen zu können‘ ist vermutlich bei allen Schlafhilfen ähnlich.“

Übrigens: Bevor ein Schlafmittel verordnet wird, rät der Arzt oder die Ärztin zunächst zu nichtmedikamentösen Maßnahmen. Die betreffen vor allem die Schlafhygiene. Unter Umständen ist eine Verhaltenstherapie sinnvoll.

Warum berichten aktuell viele Medien über Daridorexant?

Warum genau jetzt viel über das Schlafmittel berichtet wird, ist nicht ganz klar. Daridorexant wurde bereits im April 2022 zugelassen. In Fachkreisen hat der Wirkstoff wegen seiner neuartigen Wirkweise schnell Interesse geweckt und erlangte auch Bekanntheit, weil er im Jahr 2023 den Innovationspreis der Pharmazeutischen Zeitung erhielt.

Expertin Zeun meint, Grund für den aktuellen Hype um das Mittel Daridorexant könnte eine Besonderheit in der Zulassung sein: „Der Hersteller hat Daten zu einer sicheren längerfristigen Anwendung vorgelegt, so dass Daridorexant eventuell auch langfristig verschrieben werden kann.“ Zum Einsatz bei chronischen Schlafstörungen ist das Mittel erst seit einigen Monaten[6] offiziell zugelassen und ist damit das erste und einzige Schlafmittel in Deutschland. In der Regel ist der Einnahmezeitraum für verschreibungspflichtige Schlafmittel begrenzt. Allerdings gibt es unter bestimmten Voraussetzungen auch bei anderen Schlafmitteln die Möglichkeit, sie länger zu verordnen. Für alle schlaffördernden Medikamente, die ärztlich rezeptiert werden müssen, gilt: Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin muss regelmäßig überprüft werden, ob das Mittel noch nötig und geeignet ist.

Für wen ist Daridorexant geeignet?

Daridorexant ist verschreibungspflichtig. Verordnet wird es nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zugelassen ist Daridorexant für Erwachsene, wenn sie seit mindestens drei Monaten Schlafstörungen haben, die auch den Alltag beeinflussen.[1] Apotheker Rehm ergänzt: „Für Personen, die bereits dauerhaft ein Schlafmittel verordnet bekommen, kann Daridorexant eine interessante Alternative darstellen.“ Einschränkungen gibt es für Schwangere (nicht getestet), Stillende und Patientinnen und Patienten mit hohem oder nachgewiesenem Abhängigkeitspotential – also Personen mit Suchterkrankungen.

Ebenfalls Vorsicht geboten ist bei Patientinnen und Patienten mit Depressionen oder Suizidgedanken. Es ist noch unklar, ob Daridorexant sich hier negativ auswirken könnte. Wer unter einer Therapie mit dem Medikament entsprechende Symptome oder Suizigedanken bei sich selbst feststellt, sollte sich unverzüglich an seinen behandelnden Arzt oder die Ärztin wenden.

Auch ist das Medikament und dessen Wirksamkeit nur geringfügig bei Personen über 75 Jahre getestet worden. „Für die Altersgruppe über 85 Jahre liegen keine Daten vor“, betont Zeun. Nicht abschließend geklärt ist, ob Daridorexant das Sturzrisiko bei älteren Patienten weniger stark erhöht als Benzodiazepine und Z-Substanzen. Daher rät die Gebrauchsinformation, das Mittel wegen der allgemeinen Sturzgefahr bei älteren Personen mit Vorsicht zu verordnen.

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Wann sind Schlafmittel sinnvoll?

Schlafmittel helfen zu entspannen, lösen das Problem aber nicht ursächlich. Wann sie sinnvoll sind, erklärt Schlafexperte Thomas Herdegen. zum Artikel

Welche Risiken birgt Daridorexant?

Das Schlafmedikament weist unter anderem Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit und Kopfschmerzen auf.[1] „Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Medikamente, die das zentrale Nervensystem beeinflussen, das Risiko für Depressionen oder Suizidgedanken erhöhen können“, erklärt Prof. Sommer.[7] Eine sorgfältige Überwachung durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin ist daher unbedingt notwendig – besonders bei Personen mit bestehenden psychischen Erkrankungen.

In manchen Fällen wurde unter Daridorexant auch von Halluzinationen in der Einschlafphase berichtet und dem Gefühl, sich nicht bewegen zu können (auch Kataplexie oder Schlafparalyse genannt).[8]

Außerdem kann Daridorexant Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Zum Beispiel können bestimmte Antibiotika, wie Ciprofloxacin oder Erythromycin dazu führen, dass mehr Daridorexant im Körper freigesetzt wird. Andere Antibiotika,[1] wie Clarithromycin und auch antiviral wirkende Mittel, wie Ritonavir, sollten gar nicht mit den Schlafmittel komibiniert werden. Ein Einfluss auf die Wirksamkeit von hormonellen Verhütungsmitteln, wie die Pille, ist möglich. Für Informationen über weitere Wechsel- und Nebenwirkungen, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin, Ihrem Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke nach, ob sich das Mittel mit anderen Medikamenten verträgt, die Sie einnehmen.

Grundsätzlich gilt: Schlafmittel sollten immer nur eine Option der Behandlung sein. Zur Behandlung sollten auch Maßnahmen wie Stressbewältigung, Entspannungsübungen und neu erlernte Schlafgewohnheiten, also die sogenannten kognitiven Techniken, einbezogen werden.


Quellen:

  • [1] Maucher I; Gelbe Liste. : Daridorexant. Online: https://www.gelbe-liste.de/... (Abgerufen am 22.08.2024)
  • [2] Gemeinsamer Bundesausschuss: Daridorexant (Schlafstörungen). Online: https://www.g-ba.de/... (Abgerufen am 22.08.2024)
  • [3] Victorri-Vigneau C, Dailly E, Veyrac G et al.; Britisch Pharmacological Society Journals : Evidence of zolpidem abuse and dependence: results of the French Centre for Evaluation and Information on Pharmacodependence (CEIP) network survey. Online: https://bpspubs.onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 23.08.2024)
  • [4] Siebenand S; Pharmazeutische Zeitung: Mit Daridorexant ist eine neue Wirkstoffklasse im Handel. Online: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 22.08.2024)
  • [5] Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Fachausschuss der Bundesärztekammer: Daridorexant Insomnie, Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V. Online: https://www.akdae.de/... (Abgerufen am 23.08.2024)
  • [6] M.Diana; DAZ.online: Daridorexant in der GKV jetzt länger als 28 Tage verordnungsfähig. Olnine: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/... (Abgerufen am 26.08.2024)
  • [7] Kolla B, Mansukhani M, Chakravorty S; National Library of Medicine: Prevalence and associations of multiple hypnotic prescriptions in a clinical sample . Online: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 23.08.2024)
  • [8] HCI Compendium – Swissmedic: QUVIVIQ™ FILMTABLETTEN. Online: https://compendium.ch/... (Abgerufen am 23.08.2024)
  • Pharmazeutische Zeitung: PZ-Innovationspreis für Daridorexant. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 22.08.2024)
  • Ullmann R; Kassenärztliche Vereinigung Hamburg – KVH Journal: Schlafmittel mit neuem Wirkmechanismus. Online: https://journal.kvhh.net/... (Abgerufen am 22.08.2024)
  • Ufer M, Kelsh D, Schoedel K; National Library of Medicine: Abuse potential assessment of the new dual orexin receptor antagonist daridorexant in recreational sedative drug users as compared to suvorexant and zolpidem . Online: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 23.08.2024)