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Prof. Dr. med. Irit Nachtigall ist Leiterin Translationale Forschung, Lehre und Kooperation bei Vivantes sowie Professorin für Hygiene und Infektiologie an der Medical School Berlin. Sie berichtet:

„Mein Vater bekam einen Harnwegsinfekt. Er ist 90 Jahre alt, mit vielen Vorerkrankungen. Bei Männern gilt dieser aufgrund der längeren Harnröhre anders als bei Frauen als kompliziert. Daraufhin ging er zu einem niedergelassenen Urologen und erhielt eine Diagnostik. Er bekam das Antibiotikum Cefuroxim, dessen orale Dosierung eigentlich keinen ausreichend hohen Spiegel im Körper bildet.

Ich dachte damals: „Das wird schon.“ Es wurde aber nicht und er bekam einen Rückfall. Daraufhin gab ich ihm nach Leitlinie das Antibiotikum Cotrimoxazol. Erst ging es ihm deutlich besser, aber dann trat der Infekt erneut auf. Schließlich brachte ich ihn in eine Berliner Klinik, wo er eine exzellente Diagnostik erhielt und es ihm nach einer intravenösen Antibiotika-Therapie mit einem breiten Spektrum schnell besser ging.

Fehldiagnose durch mangelnde Laboruntersuchungen

Mein Fehler war, dass ich mich nicht schnell genug eingemischt habe, obwohl es mein Fachgebiet betraf. Wie sich herausstellte, hatte mein Vater seinen Urin in einem Marmeladenglas in die Praxis gebracht. Daraus wurden die vermeintlich ursächlichen Erreger mithilfe eines Antibiogramms bestimmt. Dabei wird im Normalfall der steril aufgefangene Mittelstrahlurin auf eine Platte aufgestrichen, um die Spezies und dagegen wirksame Medikamente zu ermitteln.

Im Fall meines Vaters fand man mehrere Erreger, eine sogenannte Mischflora. Daraus kann man eigentlich kein korrektes Antibiogramm machen. Im Nachhinein bin ich entsetzt gewesen über die fehlerhafte Diagnostik. Denn neben den Rückfällen können bei der Einnahme falscher Antibiotika auch Resistenzen entstehen. Leider sparen Praxen oft Geld damit, die Diagnostik vor Ort und nicht in einem vernünftigen Labor machen zu lassen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die Antibiotika verschreiben, jährlich dazu eine Schulung durchlaufen.“