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Prof. Dr. med. Hajo Zeeb leitet die Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie BIPS in Bremen. Er berichtet:

„Wir haben tagelang als Team falsch gehandelt. Und keiner von uns bemerkte es: Ich arbeitete im letzten Jahr meines Medizinstudiums in meinem praktischen Jahr in der Neurologie an einem Uniklinikum, als eine ältere Frau mit unklaren Symptomen zu uns kam. Wegen des Verdachts auf eine entzündliche Nervenerkrankung behandelten wir sie mit dem Wirkstoff Dexamethason, der Entzündungen bekämpft und das Immunsystem unterdrückt.

Er darf nur sehr genau dosiert und zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Die Dosis wurde aber, wohl auch in Absprache mit den Oberärzten, etwa zehn Tage lang weiter erhöht. Am Ende war sie viel höher, als man das mit diesem Medikament außerhalb akuter Krisensituationen jemals tun würde. Die Frau litt – und sicher mehr durch die Medikation als durch die Grunderkrankung. Sie bekam alle möglichen Symptome bis dahin, dass einige ihrer inneren Organe versagten.

Das Team trägt die Verantwortung

Wir alle – von den angehenden Ärzten über die Oberärzte bis hin zu den Pflegekräften – checkten täglich die Charts, diskutierten die Symptome mit dem Chefarzt. Aber erst als wir alle noch einmal gemeinsam draufschauten, entdeckten wir, dass das Medikament viel zu hoch dosiert war.

Ich selbst war als angehender Mediziner zwar nicht verantwortlich, aber Teil des Stationsteams. Nach dieser für mich bestürzenden Erkenntnis, dass wir mit der Medikation mehr Schaden angerichtet hatten, als die Grunderkrankung mit sich brachte, diskutierten wir mehrfach intensiv. Welche Kontrollmechanismen funktionierten nicht? Wann fielen welche Entscheidungen? Es war gut, gemeinsam nach den Ursachen zu fahnden. Und klar war auch: Wir trugen gemeinsam die Verantwortung.

Doch ich hätte mir gewünscht, dass wir aus diesem Fehler systematisch für die Routine lernen: Wo gibt es Lücken in der Hochleistungsmedizin? Wie entwickeln wir eine Fehlerkultur? Vielleicht hätte daraus entstehen können, dass besonders bei komplizierten Verläufen jemand von außerhalb des Teams regelmäßig die Medikation überprüft.“