Logo der Apotheken Umschau

Sabine Haul führt als Apothekerin in Hamburg Medikationsanalysen durch. Im Interview berichtet sie über typische Fehler mit Medikamenten und welche Folgen diese haben können.

Frau Haul, Sie führen seit zehn Jahren Medikationsanalysen durch. Was erwartet einen dabei?

Sabine Haul: Bei unseren Medikationsanalysen kommt alles auf den Tisch: Wir prüfen nicht nur die verschriebenen Arzneimittel und achten darauf, ob die Dosis stimmt, es vielleicht zu unerwünschten Wechselwirkungen kommt. Auch alle rezeptfreien Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel werden miteinbezogen sowie die individuellen Gewohnheiten und Bedürfnisse. Zudem erwartet Sie ein Gespräch, bei dem Sie alle Ihre Fragen offen stellen können. Viele Patientinnen und Patienten sind unglaublich froh, dass sich mal jemand die Zeit dafür nimmt.

Was sind typische Fehler, die Sie bei Ihren Analysen entdecken?

Haul: Am häufigsten werden bei der Einnahme Fehler gemacht. Oft sind das Kleinigkeiten. Doch auch das kann schwerwiegend sein. Ob ich ein Mittel nüchtern nehme oder nicht. Ob ich eine Eisentablette gleichzeitig mit einem Medikament schlucke oder einen Quark dazu esse. Auch wie ich das Mittel lagere, kann entscheidend sein.

Welche Folgen kann ein solcher Fehler haben?

Haul: Ein Beispiel: Eine Patientin kam mit starken Kopfschmerzen zu mir. Ihr waren neue Augentropfen verordnet worden. Sie hatte das offene Fläschchen im Kühlschrank gelagert und die kalte Lösung direkt ins Auge getropft. Danach hatte sie jedes Mal eine Schmerzattacke. Wir haben darüber gesprochen und sie hat die Tropfen danach nicht mehr in den Kühlschrank gestellt. Die Kopfschmerzen waren schnell weg. Sie hatte offenbar auf die Kälte reagiert.

Ich dachte immer, der Kühlschrank wäre ein guter Ort für Medikamente.

Haul: Bei manchen ist es sogar der einzig richtige. Was wieder ein anderer Patient nicht wusste, der mit stark schwankenden Blutzuckerwerten zu mir kam. Er hatte sein Insulin über längere Zeit nicht im Kühlschrank gelagert, was wichtig ist, damit es wirksam bleibt. Bei Zimmertemperatur gelagert wird nur der angebrochene Insulin-Pen.

Wird der richtige Umgang mit einem Arzneimittel denn nicht in der Arztpraxis erklärt?

Haul: Das muss leider oft sehr schnell gehen. Viele Hausarztpraxen sind extrem überlastet. Für die Behandlung bleibt immer weniger Zeit. Dies führt bei den Patientinnen und Patienten zu Missverständnissen und einem schwindenden Vertrauen. Wir beobachten, dass immer mehr Menschen eigenmächtig die Einnahme ihrer Medikamente verändern.

Am häufigsten werden bei der Einnahme Fehler gemacht. Oft sind das Kleinigkeiten. Doch auch das kann schwerwiegend sein

Geschieht dies aus Angst vor Nebenwirkungen?

Haul: Ich würde eher sagen: weil ihnen oft nicht richtig klar ist, warum sie die verordneten Präparate einnehmen und wie diese wirken.

Warum muss ich das denn wissen?

Haul: Therapieverständnis stärkt das Vertrauen in die Behandlung. Das ist enorm wichtig. Nehmen wir ein häufiges Beispiel: moderne Gerinnungshemmer, DOAK genannt. Sie werden vor allem bei Vorhofflimmern verordnet, um die Betroffenen vor einem Schlaganfall zu bewahren. Die unmittelbare Wirkung der Mittel merkt man aber nicht. Man muss verstehen, warum man sie nimmt. Sonst liest man vielleicht den Beipackzettel, dort steht etwas von möglichen Blutungen und man bekommt Angst. Nicht selten verringern Betroffene dann eigenmächtig die Dosis – und erhöhen so ihr Schlaganfallrisiko drastisch.

Medikationsfehler passieren ja nicht nur auf der Patientenseite.

Haul: Natürlich nicht. Fehler entstehen an jedem Punkt des komplizierten Medikationsprozesses. Häufig kommt es dazu, wenn verschiedene Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel verschreiben. Die eine Ärztin verordnet zum Beispiel ein Benzodiazepin zur Beruhigung, ein Arzt ein Schlafmittel – und der Patient ist doppelt müde. Auch nach einem Krankenhausaufenthalt geht oft etwas schief.

Könnte die elektronische Patientenakte das in Zukunft verhindern?

Haul: Wenn darin ein digitaler Medikationsplan enthalten ist, auf den alle zugreifen, hilft das sicher, etwa Doppelverschreibungen zu verhindern. Doch noch sind wir davon weit entfernt. Die Medikationspläne auf Papier, die gegenwärtig erstellt werden, sind an sich sehr gut. Doch weisen sie leider oft Lücken auf. In einem Test, in dem über 120 solcher Pläne analysiert wurden, war nicht einer vollständig.

Was raten Sie also gegenwärtig?

Haul: Wir schulen unsere Kundinnen und Kunden auch in Gesundheitskompetenz. Sie lernen gezielt, wichtige Fragen zu stellen, wenn sie ein neues Arzneimittel erhalten. Ein politisches Ziel wäre es für mich auch, dass nach einem Klinikaufenthalt eine Überprüfung in einer Apotheke stattfinden muss. Fehler lassen sich so im Vorfeld erkennen und beheben. Sehr zu empfehlen ist auch eine Stammapotheke, der man vertraut. Wird ein neues Medikament verordnet, hat man dort sofort im Blick, ob es zu den anderen Mitteln passt, und kann den Medikationsplan sofort aktualisieren.


Quellen:

  • ABDA: Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement, Überblick über die verschiedenen Konzepte zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement als apothekerliche Tätigkeit. Online: https://www.abda.de/... (Abgerufen am 26.06.2024)
  • Verbraucherzantrale: Medikationsanalyse: Apotheken prüfen, ob sich die Medikamente vertragen. Online: https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 26.06.2024)