Logo der Apotheken Umschau

Wir freuen uns auf den Sommer. Und dann seit Jahren diese Schlagzeilen: Tausende Hitzetote, noch mehr Menschen im Krankenhaus. Wie gerne möchten wir diese Nachrichten schnell wieder vergessen! Doch wir werden in Zukunft viel häufigere und längere Hitzewellen mit Tagestemperaturen weit über 30 Grad und viel zu warmen Nächten erleben. Und müssen mit den Herausforderungen umgehen lernen.

Hitze kann Wechseklwirkungen von Medikamenten verstärken

Ein paar schöne Sommertage sind toll, doch zu viel Hitze belastet den Körper: Sie trocknet ihn aus, belastet den Kreislauf, führt zu Atemwegsproblemen, reizt die Schleimhäute – und verändert die Wirkung von Medikamenten. Besonders von Hitze betroffen sind die Risikogruppen. Dazu zählen Menschen ab 65 Jahren, Pflegebedürftige, Babys und Kleinkinder, Schwangere, chronisch Kranke, Menschen, die im Freien arbeiten, und Obdachlose.

  • Manche Medikamente müssen in den Kühlschrank. Das wissen im besten Fall Patientinnen und Patienten, die bestimmte Augentropfen, Antibiotika oder Insulin benutzen müssen. Doch was haben Medikamente sonst mit Hitze zu tun? Sehr viel. Zu hohe Temperaturen können ihre Wirkung verringern, verstärken, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sowie unerwünschte Nebenwirkungen auslösen oder die Anpassungsfähigkeit an Hitze negativ beeinflussen. Ein paar Beispiele:
  • Hitze erweitert die Gefäße in Haut und Muskeln, die Blutumverteilung führt zu einer starken Herz-Kreislauf-Belastung. Das kann Schwindel und Ohnmacht zur Folge haben, aber auch das Risiko für Herzversagen und Herzinfarkte steigern. Blutdrucksenkende Medikamente können den Effekt verstärken.
  • Bestimmte Arzneimittel wie Anticholinergika, die bei Erkrankungen von Asthma bis Harninkontinenz im Einsatz sind, unterbinden als Nebeneffekt das Schwitzen.
  • Ist die Haut aufgrund von Hitze stärker durchblutet, geben Opioid-Pflaster deutlich mehr Wirkstoff ab.
  • Zu den Medikamenten, die bei Hitze kritische Begleitung benötigen, gehören Diuretika, Antihypertonika, Anticholinergika, Sedativa und Opioide.
  • Hitze kann Medikamente schädigen. Daher ist es wichtig, die Lagerungsbedingungen auf der Packungsbeilage zu beachten und bei Unklarheiten in der Apotheke nachzufragen.

Hitzesprechstunden für Risikopatienten

Wenn es um das Gesundheitsproblem Hitze geht, tragen Profis in Gesundheitsberufen eine besondere Verantwortung, besonders gefährdete Gruppen zu schützen. Arzneimittel können das Risiko erhöhen, während Hitzewellen zu sterben. Es ist deshalb dringend geboten, dass Ärztinnen und Ärzte als Teil einer Hitzesprechstunde mit den Risikopatientinnen und -patienten auch die Medikamentenpläne vor dem Sommer prüfen, Wechselwirkungen checken, bestimmte Arzneimittel ganz vermeiden und informieren.

Da haben die Ärzteschaft und ihre Praxisteams mit ihren über eine Milliarde Patientenkontakten eine Schlüsselrolle. In ihrem „Positionspapier zum gesundheitsbezogenen Hitzeschutz“ nimmt die Bundesärztekammer selbst diese Rolle klar an, unter anderem auch für die Aufklärung, Risikokommunikation und Prävention. Damit liefert sie die Blaupause für das, was in allen Gesundheitsberufen geschehen muss.

Leitfaden für klimasensible Gesundheitsberatung soll Orientierung geben

Der Verband der Hausärztinnen und Hausärzte hat mittlerweile ein Hitze-Manual für die „klimaresiliente hausärztliche Versorgung“ formuliert. Bei den Kinderärzten und -ärztinnen ist ein ähnliches Papier in Arbeit. Die Institute für Allgemeinmedizin der Universitäten Hamburg und Würzburg erarbeiten derzeit einen Leitfaden für klimasensible Gesundheitsberatung für Hausärztinnen und -ärzte, inklusive Hinweisen zum Umgang mit Medikamenten, der schon bald als S1-Leitlinie erscheinen soll. Nicht zuletzt die große Beteiligung sämtlicher großer Gesundheitsorganisationen am diesjährigen Hitzeaktionstag belegt die Bereitschaft, Deutschland durch Vernetzung, Information und Fortbildung hitzeresilient zu machen.

Die Ärzteschaft steht in den Startlöchern. Doch existiert nach wie vor eine Kluft zwischen dem jetzt endlich schnell wachsenden Willen und der Alltagspraxis: So zeigte eine Online-Umfrage der Stiftung Gesundheit im Auftrag des Centre for Planetary Health Policy (CPHP) im Jahr 2022, dass bislang nur ein knappes Drittel Auswirkungen für eigene Patienten erwartet. Nur 16 Prozent passen die Medikation ihrer Patientinnen und Patienten bei Hitze regelmäßig an. Nur jeder zehnte der knapp 800 an der Befragung teilnehmenden ambulant und stationär arbeitenden Allgemein- und Fachmediziner gab an, sie durchgängig zum Umgang mit Hitze zu beraten; Infomaterial stellten nur drei Prozent bereit.

Zu wenig Ärzte informieren über Gefahr durch Hitze

Aus der Patientenperspektive stellt sich die Situation noch drastischer dar: Von knapp 260 im Zuge des Hitzeaktionsplans für die Stadt Köln (HAP-Köln) befragten Menschen der Altersgruppe 65 plus hatten nur fünf bis sieben Prozent die Erfahrung gemacht, dass ihre Ärzte bei Hitzeperioden mit ihnen über Krankheiten, Medikamente oder eine Notfallsituation sprachen.

Im Projekt „Transformative Arztpraxen“ begannen wir als Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) vor Jahren, Ärztinnen und Ärzte für die klimasensible Gesundheitsberatung auszubilden. Dabei geht es längst nicht nur um das Sensibilisieren und Bereitstellen von Infomaterial zu Themen wie Ernährung und Bewegung. Es geht auch um das Anpassen von Medikation bei Hitze, ausreichendes Trinken, Sonnenschutz und vieles mehr. Wir konnten damit Hunderte von Praxen erreichen, hitzekompetent machen und vernetzen. Doch müssen wir mehr erreichen: Alle Ärztinnen, Ärzte und alle weiteren Gesundheitsprofis müssen sich gemeinsam in Bewegung setzen – und zwar schnell.

Finanzielle Rahmenbedingungen anpassen

Motivation und Willensbekundungen reichen nicht aus. Auch die finanziellen Rahmenbedingungen müssen angepasst werden: Die Hitzesprechstunde als Teil der klimasensiblen Gesundheitsberatung muss für Praxen abzurechnen sein. Was sich damit sehr schnell erreichen lässt, zeigt die AOK Baden-Württemberg. Seit Ende 2023 bekommen Praxen über die dort geltenden Hausarztverträge einen Zuschlag für klimaresiliente Versorgung, binnen kurzer Zeit ließen sich mehrere Tausend Hausärzte schulen.

Dieses Beispiel muss zügig für ganz Deutschland und Millionen Gesundheitsprofis Schule machen. Das wäre ein echter Wendepunkt. Neben den Profis kann und muss jeder und jede von uns aber auch auf sich selbst und andere achten. Deshalb ist es genauso wichtig, Patientinnen und Patienten zu sensibilisieren und zu informieren. Sie sollten

  • in der Arztpraxis fragen, wie sie sich allgemein bei Hitze schützen können,
  • wie sie mit ihren Medikamenten bei Hitze umgehen müssen und
  • wo sie Infomaterial bekommen,
  • sowie den Beipackzettel lesen und in der Apotheke nachfragen.

Der Klimawandel mit seinen Extremtemperaturen macht vor niemandem halt. Deshalb brauchen wir Menschen in Gesundheitsprofessionen, die bei einer klimasensiblen Gesund-heitsversorgung an einem Strang ziehen. Und wir brauchen Patientinnen und Patienten, die selbst mitwirken und nachfragen.